
MAA spricht mit Anna Meiser
Ich habe mich als Frau selbst verloren – und wiedergefunden
Jahrelang stellte Anna, 38, ihr eigenes Wohlbefinden hinten an – zwischen Job, Kindern und Haushalt blieb kein Raum für sie selbst. Erst eine Panikattacke machte ihr klar, dass sie so nicht weitermachen konnte. Schritt für Schritt lernte sie, Aufgaben abzugeben, kleine Auszeiten zu schaffen und Schuldgefühle loszulassen. Heute hat sie ihre Balance zurückgefunden und sagt: Selbstfürsorge ist kein Luxus, sondern notwendig, um gesund und präsent für die Familie zu sein.
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Bild: Canva, Bild dient nur der Veranschaulichung
Anna, stell dich bitte kurz vor: Wer bist du und wie sah dein Leben früher aus, bevor du gemerkt hast, dass du dich selbst verlierst?
Ich bin Anna, 38 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern und arbeite halbtags als Bürokauffrau. Wenn ich heute auf mein früheres Leben zurückblicke, habe ich das Gefühl, dass ich damals in einer Art Autopilot-Modus unterwegs war. Mein Alltag bestand aus Aufstehen, Kinder fertig machen, Arbeiten gehen, danach direkt einkaufen, Haushalt organisieren, Hausaufgaben betreuen, abends Essen machen, Küche aufräumen, Wäsche waschen – und am Ende des Tages fiel ich todmüde ins Bett, oft ohne überhaupt ein paar Minuten für mich selbst zu haben.
Es war ein Kreislauf, der sich Tag für Tag wiederholte. Jeder war versorgt: die Kinder hatten ihre Brotdosen, mein Mann sein frisches Hemd, der Haushalt lief halbwegs – nur ich war nicht versorgt. Ich hatte keine Energie mehr, keine Pausen, keine eigenen Momente. Aber ich habe das lange gar nicht so wahrgenommen, weil ich dachte: So ist das eben, wenn man Familie hat. Da muss man durch.
Wann kam der Punkt, an dem du gemerkt hast, dass es so nicht weitergeht?
Das war ein Abend, den ich nie vergessen werde. Ich stand in der Küche und wollte nur noch schnell die Spülmaschine einräumen, bevor ich ins Bett falle. Plötzlich merkte ich, wie mein Herz raste, wie mir schwindlig wurde und ich kaum noch Luft bekam. Erst dachte ich, ich bekomme einen Herzinfarkt. Später erfuhr ich: Es war eine Panikattacke.
In diesem Moment hat es Klick gemacht. Ich war erschöpft, innerlich leer, hatte nichts mehr zu geben. Ich fühlte mich wie ein Akku, der ständig benutzt wird, aber nie aufgeladen wird. Mir wurde klar: Wenn ich so weitermache, fahre ich direkt gegen die Wand. Und das nicht nur zu meinem eigenen Schaden, sondern auch zum Schaden meiner Familie. Denn was bringt es meinen Kindern, wenn ihre Mutter zwar immer perfekt funktioniert, aber innerlich kaputtgeht?
Wie hat dein Umfeld reagiert, als du gespürt hast: Es geht nicht mehr?
Das war gar nicht so leicht. Ich bin ein Mensch, der ungern um Hilfe bittet, und ich habe lange gedacht: „Das muss ich alleine schaffen.“ Als ich meinem Mann das erste Mal gesagt habe: „Ich kann nicht mehr, ich brauche Unterstützung“, war er im ersten Moment überrascht, fast überfordert. Er hatte meine Erschöpfung gar nicht in diesem Ausmaß wahrgenommen, weil ich sie immer überspielt habe.
Aber er hat verstanden – und das war der Anfang. Wir haben uns hingesetzt und Aufgaben neu verteilt. Er kümmert sich seitdem viel mehr um die Kinder, geht auch mal einkaufen, übernimmt den Abwasch. Ich musste lernen, Verantwortung abzugeben. Am Anfang war das ungewohnt, weil ich dachte: Das macht doch keiner so gut wie ich. Aber ich habe gelernt, dass „anders“ nicht gleich „schlechter“ bedeutet.
Was waren deine ersten Schritte in Richtung Selbstfürsorge?
Ganz ehrlich: winzige Schritte. Ich habe nicht plötzlich mein ganzes Leben umgekrempelt. Ich habe mir bewusst kleine Inseln geschaffen. Zehn Minuten spazieren gehen, ohne Handy. Ein Buch lesen, auch wenn die Wäsche wartet. Eine heiße Dusche genießen, ohne schon den nächsten Tag im Kopf durchzuplanen.
Am Anfang hatte ich dabei Schuldgefühle. Ich dachte: Wie kann ich hier sitzen und einen Kaffee trinken, wenn noch so viel zu tun ist? Aber ich habe gemerkt: Wenn ich mir diese Momente nicht nehme, bin ich nicht die Mutter, die Partnerin, die Freundin, die ich gerne wäre. Heute sehe ich Selbstfürsorge nicht als Egoismus, sondern als Notwendigkeit.
Gab es bestimmte Routinen oder Rituale, die dir geholfen haben, wieder in Balance zu kommen?
Ja. Zum Beispiel mein „Morgenritual“. Früher bin ich direkt mit dem Wecker hochgeschossen und war sofort im Stress. Heute stehe ich 15 Minuten früher auf – nicht, um mehr zu schaffen, sondern um in Ruhe einen Tee zu trinken, kurz durchzuatmen und mir den Tag bewusst zu machen. Dieser kleine Puffer verändert alles.
Ein weiteres Ritual ist mein „Abendabschluss“. Ich schreibe mir drei Dinge auf, die am Tag gut gelaufen sind. Das klingt banal, aber es rückt den Fokus weg von dem, was ich nicht geschafft habe, hin zu dem, was ich geschafft habe. Und manchmal ist das nur: „Ich habe heute gelächelt, obwohl ich müde war.“ Das reicht.
Viele Frauen kennen dieses Gefühl, sich selbst zu verlieren. Was war für dich der größte Aha-Moment?
Der größte Aha-Moment war, als mir klar wurde: Niemand außer mir wird darauf achten, dass es mir gut geht. Ich habe immer gehofft, dass jemand sagt: „Setz dich hin, ich übernehme das.“ Aber die Realität ist: Das passiert nicht von allein. Ich musste selbst Verantwortung für mein Wohlbefinden übernehmen – genauso wie ich Verantwortung für meine Kinder übernehme.
Und dieser Gedanke war befreiend. Ich darf „Nein“ sagen. Ich darf Pausen machen. Ich darf unperfekt sein. Perfektion macht uns nicht glücklich, Nähe und Ehrlichkeit schon.
Was würdest du anderen Frauen raten, die in einer ähnlichen Situation stecken?
Erstens: Fangt klein an. Niemand muss gleich ein komplettes Wellnessprogramm durchziehen. Es reicht, sich bewusst fünf Minuten für sich selbst zu nehmen. Diese kleinen Momente summieren sich.
Zweitens: Sprecht darüber. Mit Partner, Freundin, Kollegin – egal mit wem. Scham bringt uns in Isolation, Offenheit bringt Entlastung.
Drittens: Setzt klare Grenzen. Das können kleine Sätze sein wie „Heute geht es nicht“ oder „Ich mache das morgen“. Jede Grenze ist ein Schutzschild für eure Kraft.
Viertens: Holt euch Hilfe, bevor es zu spät ist. Ob Hausarbeit, Kinderbetreuung oder Gespräche mit einer Therapeutin – Unterstützung ist keine Schwäche, sondern ein Zeichen von Stärke.
Und fünftens: Vergleicht euch nicht. Social Media zeigt euch perfekte Wohnzimmer, perfekte Körper, perfekte Mütter. Aber das echte Leben ist chaotisch, laut und voller Kompromisse. Das ist normal.
Wenn du heute auf dein früheres Ich blickst – was würdest du ihm sagen?
Ich würde mir sagen: „Du musst nicht alles alleine tragen.“ Ich würde mir in die Augen schauen und sagen: „Du bist genug – auch wenn der Wäscheberg da ist, auch wenn das Essen mal nicht selbst gekocht ist, auch wenn du nicht immer lächelst.“
Und ich würde mir raten: Hör früher auf die kleinen Warnsignale. Müdigkeit, Gereiztheit, ständige Kopfschmerzen – das sind keine Nebensächlichkeiten, das sind Botschaften deines Körpers. Nimm sie ernst.
Und wie sieht dein Leben heute aus?
Heute habe ich gelernt, besser auf mich zu achten. Natürlich gibt es noch volle Tage und stressige Momente – das Leben ist kein Wellnessurlaub. Aber ich habe Werkzeuge, um mich nicht mehr komplett zu verlieren. Ich nehme mir Auszeiten, ich sage auch mal Nein, und ich habe kein schlechtes Gewissen mehr, wenn ich mich um mich selbst kümmere.
Das Schönste ist: Meine Kinder profitieren davon. Sie sehen, dass Mama nicht nur „funktioniert“, sondern auch lacht, sich freut, Kraft hat. Und mein Mann sagt oft: „Du wirkst viel gelassener.“ Das ist das größte Kompliment.
Was möchtest du unseren Leserinnen abschließend mitgeben?
Ihr seid nicht alleine. Viele Frauen fühlen sich erschöpft, gefangen im Hamsterrad, hin- und hergerissen zwischen Ansprüchen und Realität. Es ist kein persönliches Versagen – es ist eine gesellschaftliche Überforderung.
Aber ihr habt die Macht, Dinge zu ändern. Nicht alles auf einmal, nicht perfekt, aber Schritt für Schritt. Fangt an, euch selbst ernst zu nehmen. Denn am Ende braucht euch eure Familie nicht als Maschine, sondern als Mensch – lebendig, echt und voller Kraft.










