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MAA spricht mit Carmen Sing
Unerfüllter Kinderwunsch bis 42 – Carmens Weg zur späten Mutterschaft
Mit 30 wünschte sich Carmen Sing nichts sehnlicher als ein Kind. Jahre vergingen, Arzttermine wechselten sich mit Hoffnung und Enttäuschung ab, die Beziehung wurde geprüft, Routinen zerfielen. Nach zahlreichen Behandlungen ohne Erfolg war sie 41 und fragte sich, wie viel Kraft sie noch hatte. Ein Jahr später – mit 42 – hielt sie einen positiven Test in der Hand. Heute ist ihre Tochter zwei Jahre alt. Carmens Geschichte ist kein Rezept, aber ein Beweis: Hoffnung darf neben Klarheit existieren, Geduld neben Grenzen. Und: Durchhalten kann Sinn machen – auch wenn der Weg anders aussieht als geplant.
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Bild: Canva, Bild dient nur zur Veranschaulichung
Carmen, wer bist du – und wie hat dein Leben ausgesehen, als der Wunsch nach einem Kind zum ersten Mal richtig laut wurde?
Ich war 30, mitten im Job, mitten im Leben. Alles hat funktioniert: Arbeit, Freundeskreis, Reisen am Wochenende, der ganz normale Alltag. Und gleichzeitig war da dieses leise Ziehen im Bauch, das irgendwann ein klares „Ich will Mama werden“ wurde. Nicht als Plan auf Papier, sondern als Gefühl, das jeden Gedanken färbt. Es war, als ob das Leben plötzlich zweigleisig fährt: Auf dem einen Gleis „alles gut“, auf dem anderen „da fehlt etwas“. Ich habe das eine Weile weggedrückt, hab mir gesagt: Kommt schon noch. Aber ab 32 wurde aus „irgendwann“ ein „wann endlich?“.
Wann wurde aus dem Gefühl ein Thema, das ihr aktiv angegangen seid?
Mit 33. Wir haben es entspannt versucht – Kalender, Apps, „bloß keinen Stress“. Diese Leichtigkeit hielt vielleicht sechs Monate, dann kamen Fragen: Warum klappt es nicht? Tun wir etwas falsch? Interessant war: Man ist körperlich topfit, aber innerlich dreht sich alles. Wir sind dann zur Frauenärztin, haben erste Blutwerte machen lassen. Nichts Dramatisches. „Geduld“, hieß es. Geduld ist leicht zu sagen und schwer zu leben, wenn jeden Monat ein neues „Nein“ kommt.
"Warum klappt es nicht? Tun wir etwas falsch?"
Ihr seid irgendwann in eine Kinderwunschklinik gegangen. Wie war dieser Schritt – organisatorisch und emotional?
Es fühlt sich an wie der Eintritt in eine Parallelwelt. Wartezimmer voller Menschen, alle höflich, alle still, alle mit dem gleichen Geheimnis. Man gibt Blut ab, füllt Bögen aus, hat Gespräche, in denen das Privateste plötzlich Zahlen und Abkürzungen bekommt. Das Team war respektvoll, aber die Taktung ist gnadenlos: Zyklen, Zeitfenster, Spritzen um 7:00 Uhr, Kontrolltermine um 6:30 Uhr, Stimulationen, Punktionen. Ich habe mir eine zweite Identität gebaut: tagsüber Carmen im Job, danach Carmen im „Projekt“. Es ist anstrengend, weil du Hoffnung managst wie Termine.
Was hat diese Zeit mit eurer Beziehung gemacht?
Sie hat uns auseinandergeschoben und zusammengeschweißt – beides. Es gab Abende, da haben wir nebeneinander geschwiegen, weil jedes Wort falsch klang. Und es gab Momente, da hat mein Mann mich gehalten, ohne irgendetwas erklären zu wollen. Wir haben irgendwann Regeln aufgestellt: Kein Kinderwunschgespräch nach 20 Uhr. Kein Drüberreden im Bett. Ein Date pro Woche ohne Klinikthema. Klingt banal, hat uns aber Luft gegeben. Nähe war nicht immer Romantik – oft war es Teamarbeit. Und das ist okay.
Gab es Tiefpunkte, an denen du dachtest: Ich kann nicht mehr?
Viele. Geburtstage wurden zu Markierungen des Nicht-Geklappt-Habens. Schwangerschaftsverkündungen im Freundeskreis waren Freude mit Stich ins Herz. Ich habe Babyabteilungen im Kaufhaus gemieden, Babygeruch geliebt und gefürchtet. Der härteste Moment war eine Fehlversuchsserie kurz hintereinander – drei Zyklen, drei Mal „negativ“. Ich habe im Auto geweint, so lange, bis ich Kopfschmerzen hatte. Danach habe ich gelernt, Pausen ernst zu nehmen. Nicht als Aufgeben, sondern als Handlung: Wir machen jetzt vier Monate gar nichts. Wir atmen. Wir werden wieder Menschen.
Du wurdest mit 42 schwanger. Nimm uns doch bitte mal mit in den Moment des positiven Tests
Es war unspektakulär und heilig zugleich. Ich hatte den Test morgens gemacht, eigentlich ohne große Hoffnung, weil ich mich schützen wollte. Zwei Striche. Ich habe die Packung nochmal gelesen, als hätte ich seit Jahren nicht lesen können. Dann habe ich meinen Mann gerufen, und wir standen einfach da. Keine Film-Musik, kein Feuerwerk – nur zwei Menschen in einem kleinen Badezimmer, die begriffen: Es passiert. Ich habe gezittert vor Freude und Angst. Denn mit 42 wird aus Hoffnung schnell Verantwortung: Du weißt, dass diese Schwangerschaft kostbar ist.
Wie hast du die Schwangerschaft erlebt – mit all der Vorgeschichte und dem Alter im Hinterkopf?
Vorsichtig. Jeder Ultraschall war ein Meilenstein, jede Woche ein kleiner Sieg. Ich habe mich gut betreut gefühlt, bin viel spazieren gegangen, habe mir ehrliche Ruhe gegönnt. Ich habe auch Grenzen gesetzt: Wenige Menschen wussten früh Bescheid, einfach um unseren Raum zu schützen. Und ich habe mir erlaubt, beides zu fühlen: Dankbarkeit und Angst. Das war der Schlüssel – nicht die Angst wegdrücken, sondern sie halten und trotzdem weitergehen.
Heute ist deine Tochter zwei Jahre alt. Wie hat sie dein Leben verändert?
Radikal. Müdigkeit ist jetzt Alltag – und Sinn auch. Ich habe meinen Kalender ausgemistet, Prioritäten verschoben, „Nein“ sagen gelernt. Das klingt wie ein Ratgeber, aber bei mir war es pure Notwendigkeit. Ich genieße die Langsamkeit, das Immer-wieder-Gleiche: dieselbe Geschichte zum fünften Mal lesen, dieselbe Rutsche zum zwanzigsten Mal. Es ist nicht die Perfektion aus Instagram. Es ist unser Leben, mit Milchflecken und Lachen. Und jedes Mal, wenn sie „Mama“ sagt, denke ich: Es hat sich gelohnt.
Bestimmt stehen viele Frauen gerade an dem Punkt, an dem du warst: hoffen, warten, zweifeln. Was sagst du ihnen – ohne falsche Versprechen, aber auch ohne die Hoffnung kleinzureden?
Erstens: Holt euch Wissen und Menschen an die Seite. Eine gute Ärztin, ein Arzt, der klar spricht. Und wenn euer Bauch „zweite Meinung“ sagt, dann holt sie euch.Zweitens: Setzt Grenzen – finanziell, körperlich, zeitlich. Nicht aus Pessimismus, sondern zur Selbstachtung. Schreibt sie auf, sprecht sie laut aus.Drittens: Plant Pausen ein. Wirklich. Pausen sind kein Rückschritt, sie sind Reparatur.Viertens: Pflegt eure Beziehung. Nicht als Nebenprojekt, sondern als Fundament. Vereinbart „kinderwunschfreie Zonen“ in Woche und Wohnung.Fünftens: Haltet beides aus – Hoffnung und Plan B. Adoption, Pflegekindschaft, ein Leben ohne Kinder: Es ist kein Verrat, darüber zu sprechen. Es gibt euch Luft.Sechstens: Sucht euch eine Person, bei der ihr euch hässlich ehrlich machen dürft – Freundin, Therapeutin, Selbsthilfegruppe. Scham ist ein Verstärker. Worte sind ein Ventil.
Ich verspreche euch nichts. Ich verspreche nur: Ihr seid nicht allein. Es ist erlaubt zu weinen, zu lachen, zu pausieren, wieder anzufangen. Und es ist erlaubt, stolz auf euch zu sein – egal, wie eure Geschichte weitergeht.
Was würdest du deinem 30-jährigen Ich sagen, wenn du könntest?
Du bist nicht schuld. Du bist nicht „zu spät“, nicht „zu viel“, nicht „zu wenig“. Such dir früh Menschen, die klar sind und gut erklären. Setz dir Grenzen, bevor du sie brauchst. Und lebe dein Leben nicht auf später – geh auf das Konzert, fahr ans Meer, feiere dein Jetzt. Hoffnung lebt besser auf einem vollen Tisch als auf einem leeren.
Und was möchtest du allen mitgeben, die gerade an sich zweifeln?
Hoffnung ist kein Zaubertrick. Sie ist ein Muskel. Sie wächst mit Übung – und sie braucht Ruhe. Trainiert sie sanft. Gebt euch Zeit. Und wenn der Weg anders wird, als ihr ihn euch vorgestellt habt, heißt das nicht, dass er weniger wert ist.











