
MAA spricht mit Filomena Pinto
Ich fand es schön, dass die Menschen stolz auf ihr Land waren!
Filomena Pinto kam 1993 nach Deutschland, sie wohnte in Schwäbisch Gmünd und Aalen. Anfangs fand sie Deutschland dunkel, kalt und einsam, aber das sich schnell geändert. Filomena lernte intensiv deutsch und kam in der Gesellschaft und im Berufsleben schnell an: sie fand viele Freunde und ihr beruflicher Weg ging von der Putzkraft zur Projektmitarbeiterin und Hochschuldozentin. Im Sommermärchen 2006 hat Filomena eine nachhaltige Veränderung wahrgenommen, die sie uns im Interview verrät.
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Bild: Filimena Pinto, privat
Filomena, kannst du dich noch daran erinnern, als du das erste Mal nach Deutschland und in den Ostalbkreis gekommen bist? Was ist dir besonders aufgefallen?
Ich bin im Dezember 1993 nach Schwäbisch Gmünd gekommen. Was mir sofort aufgefallen ist, war, dass es hier viel früher dunkel wird als in Portugal. Dort sind die Tage länger, und selbst im Winter bleibt es abends noch eine Weile hell. Hier hingegen wurde es schon um 16 oder 17 Uhr dunkel – und die Straßen waren wie ausgestorben. In Portugal sind immer Menschen unterwegs, besonders abends. Hier war es ganz anders. Das war für mich eine große Umstellung.
Du hast ja bereits erwähnt, dass du aus Portugal kommst, aber du hast auch schon in anderen Ländern gelebt. Wie war das im Vergleich?
Ich bin in Südafrika geboren und habe dort einen großen Teil meiner Kindheit verbracht. Auch dort wurde es nicht so früh dunkel wie hier, und wegen des warmen Klimas waren wir fast immer draußen. In Südafrika haben wir in einem Haus mit einem großen Garten gewohnt. Wir hatten Hunde und viele Nachbarskinder, mit denen wir draußen gespielt haben. Fernsehen war damals nicht so verbreitet, es gab keine Computer oder Handys wie heute. Unsere Freizeit haben wir draußen verbracht, und das war ganz normal. Deshalb hat mich die Stille und Leere in Deutschland anfangs sehr irritiert. Ich habe mich gefragt: „Wo sind die Menschen?“ Aber als der Januar kam und die Tage langsam wieder länger wurden, wurde es besser. Ich habe mehr von meiner Umgebung kennengelernt und auch die ersten Kontakte geknüpft.
Bis dahin hast du also gedacht: „Wo bin ich hier gelandet? Es ist dunkel, es ist kalt und niemand ist da!“
Ja, stimmt! (lacht) Ich dachte wirklich: „Oh Mann, das ist schrecklich!“ Man hört ja oft das Klischee, dass Deutsche eher kühl und zurückhaltend sind. Und anfangs hat das für mich tatsächlich so gewirkt. Wenn ich jemanden auf der Straße gegrüßt habe, bekam ich meist nur ein kurzes Lächeln zurück – aber das war’s dann auch. Ich habe aber schnell gemerkt, dass es nicht unbedingt an der Mentalität, sondern auch am Wetter liegt. Im Winter ziehen sich die Leute einfach zurück - und sie sind sehr beschäftigt.
Das heißt, wenn man nach Deutschland kommt, hat man oft das Vorurteil, dass die Menschen verschlossen sind – und das Klima verstärkt diesen Eindruck?
Aber dann kam das Jahr 2006 – die Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland.
Das „Sommermärchen“!
Ja, genau! Und ich habe das Gefühl, dass sich seit diesem Sommer vieles verändert hat.
Plötzlich waren viel mehr Menschen draußen, die Stimmung war lebhafter, und die Leute haben sich mehr getraut, ihren Stolz auf ihr Land zu zeigen.
Plötzlich waren viel mehr Menschen draußen, die Stimmung war lebhafter, und die Leute haben sich mehr getraut, ihren Stolz auf ihr Land zu zeigen. Ich war damals schon in Aalen, und ich erinnere mich, wie die Innenstadt auf einmal voller Menschen war. Seitdem sitzen die Leute öfter draußen, treffen sich mehr – fast so, wie ich es aus Portugal kenne.
Du meinst, die Weltmeisterschaft 2006 hat bewirkt, dass die Deutschen offener geworden sind?
Ich glaube schon! Vorher hatte ich den Eindruck, dass viele eher zurückhaltend waren, wenn es um Nationalstolz ging – wahrscheinlich wegen der Geschichte. Aber 2006 war so ein Wendepunkt. Die Menschen haben sich gefreut, ihre Flaggen gezeigt, gemeinsam gefeiert Und das hat sich bis heute gehalten. Die Fußgängerzone in Aalen zum Beispiel ist seitdem viel belebter. Ich weiß nicht, ob es nur mein persönlicher Eindruck ist, aber ich habe das Gefühl, dass Deutschland seitdem ein bisschen „draußenfreundlicher“ geworden ist.
Das ist interessant! Denn viele Deutsche machen sich viele Gedanken darüber, wie sie mit ihrem Nationalstolz umgehen sollen. Wie hast du das damals wahrgenommen? Fühlte sich das für dich bedrohlich an, als überall deutsche Fahnen zu sehen waren?
Nein, überhaupt nicht. Ich fand es schön, dass die Menschen stolz auf ihr Land waren! Ich selbst bin stolz auf Portugal und Südafrika – und jetzt auch auf Deutschland. Wenn ich sage, dass ich hier lebe, dann tue ich das mit Stolz. Natürlich gibt es in jeder Nation dunkle Kapitel in der Geschichte. Aber Deutschland hat sich weiterentwickelt, das Land hat sich aufgebaut und bietet heute eine hohe Lebensqualität.
Und wie hast du die Menschen hier persönlich erlebt? Uns wird ja oft nachgesagt, dass wir eher distanziert und kühl sind. War das auch dein Eindruck?
Ja, am Anfang war es tatsächlich nicht einfach. Ich finde, Deutsche haben es schwerer, sich zu öffnen. Sie sind sehr herzlich, wenn man erst einmal in ihrem Freundeskreis ist – aber es dauert eine Weile, bis man dort hineinkommt.
Sie sind sehr herzlich, wenn man erst einmal in ihrem Freundeskreis ist – aber es dauert eine Weile, bis man dort hineinkommt.
In Portugal ist das ganz anders. Da geht man einfach raus, sagt „Hallo“ – und schon ist man Teil der Gruppe. Hier muss man sich das Vertrauen erst verdienen.
Hast du das Gefühl, dass du es geschafft hast, in diese Kreise hineinzukommen?
Ja, absolut! Ich habe sehr gute deutsche Freunde, die mich wie Familie behandeln. Ich fühle mich wirklich aufgenommen und angenommen.
Das ist ein schönes Zeugnis! Jetzt bist du nicht nur nach Deutschland gekommen, sondern auch ins Schwäbische. Wie hast du denn die Sprache empfunden?
Oh, die Sprache! Naja, sie war natürlich sehr schwierig zu lernen. Die deutsche Sprache ist generell nicht einfach. Ich bin jetzt seit über 30 Jahren in Deutschland, und trotzdem habe ich immer noch meine Schwierigkeiten mit „der, die, das“ sowie mit dem Akkusativ und Dativ. Ich glaube, das werde ich nie ganz perfekt können, weil es einfach sehr komplex ist. Ich denke, man muss mit der Sprache aufwachsen, um dieses natürliche Sprachgefühl zu entwickeln.
Und dann sprechen die Leute hier ja auch oft Schwäbisch, was sich deutlich von dem Deutsch unterscheiden könnte, das du vielleicht in Portugal gelernt hast.
Ja, natürlich! Mein erster Kontakt mit der deutschen Sprache war tatsächlich in Portugal. Dort habe ich einen Anfängerkurs besucht, damit ich mich ein wenig verständigen kann, wenn ich nach Deutschland komme. Aber als ich dann hier war, war ich ein bisschen verwirrt, weil Schwäbisch sich ganz anders angehört hat und manche Wörter, die ich gelernt hatte, nicht überall gleich waren. Dann habe ich angefangen, an der Volkshochschule einen Deutschkurs zu besuchen. Ich erinnere mich noch gut an eine lustige Situation auf dem Markt. Ich wollte Karotten kaufen und sagte zur Verkäuferin: „Ein Kilo Karotten, bitte.“ Daraufhin antwortete sie: „Möhren.“ Ich sagte: „Nein, Karotten.“ Sie schaute mich an und wiederholte: „Ja, Möhren.“ Ich verstand gar nichts mehr! Also nahm ich eine Karotte in die Hand, zeigte darauf und sagte: „Das hier!“ Und dann sagte sie: „Ja, ja, Möhren. Oder Gelbe Rüben.“ Das war eine witzige Erfahrung.
Haben sich die Leute eigentlich Mühe gegeben, Hochdeutsch zu sprechen, wenn sie mit dir geredet haben?
Ja, doch. Ich bin zuerst nach Schwäbisch Gmünd gezogen und habe dort einige Jahre gewohnt. Anfangs dachte ich, dass ich mit Englisch überall gut zurechtkommen würde. Aber das war nicht der Fall. Damals hatten viele Leute Angst oder Hemmungen, mit mir Englisch zu sprechen. Sie haben es einfach nicht getan – obwohl ich sicher bin, dass sie verstanden haben, was ich meinte. Aber sie wollten einfach auf Deutsch kommunizieren.
Hat das vielleicht sogar dazu beigetragen, dass du schneller und besser Deutsch gelernt hast?
Ja, vielleicht ein bisschen. Aber ich wollte die Sprache ohnehin lernen. Nach sechs Monaten konnte ich mich bereits alleine um alles kümmern – zur Behörde gehen, Formulare ausfüllen, solche Dinge. Ich habe mich wirklich in die Sprache „eingefuchst“, wie ihr sagt. Allerdings musste ich leider nach sechs Monaten ins Krankenhaus, weil ich eine Blinddarmentzündung hatte. Mein Arzt konnte sehr gut Englisch und sprach mit mir auf Englisch. Aber die Krankenschwestern und das gesamte Personal haben Deutsch gesprochen. Der Arzt sagte mir: „Oh, Sie sprechen wirklich gut Deutsch, wenn man bedenkt, wie kurz Sie erst hier sind.“ Ich erinnere mich aber auch an eine Frau, die mit mir im Krankenhauszimmer lag. Sie war schon über 20 Jahre in Deutschland und konnte fast kein Deutsch. Das hat mich sehr überrascht.
Ja, das ist krass.
Es war einfach traurig zu sehen, dass sie immer auf andere angewiesen war, um sich verständigen zu können.
Wie war dein Start ins Berufsleben hier?
Es war nicht leicht, Arbeit zu finden. Bei den meisten Stellen, die mich interessiert hätten, wurde Deutsch vorausgesetzt. Und ich hatte kaum Geld, also musste ich etwas tun. Deshalb habe ich angefangen zu putzen. Morgens habe ich in einer Firma geputzt, und nachmittags bin ich zur Volkshochschule gegangen, um Deutsch zu lernen. Das habe ich fast zwei Jahre lang so gemacht.
Wie ging es dann weiter?
Nach einer Weile habe ich an der Volkshochschule erfahren, dass man dort eventuell auch Englisch unterrichten könnte. Das hat mich interessiert. Also habe ich mich in Schwäbisch Gmünd beworben und wurde von Frau Wittmann geprüft. Sie gab mir dann tatsächlich einen ersten Kurs. Das war ungefähr ein Jahr, nachdem ich nach Deutschland gekommen war.
Zwei Jahre lang habe ich dann morgens geputzt, nachmittags Deutsch gelernt, und abends habe ich einmal die Woche Englisch unterrichtet. Dazu habe ich noch ein paar Stunden in einem Getränkemarkt gearbeitet. Ich habe versucht, möglichst flexibel zu sein.
Zwei Jahre lang habe ich dann morgens geputzt, nachmittags Deutsch gelernt, und abends habe ich einmal die Woche Englisch unterrichtet. Dazu habe ich noch ein paar Stunden in einem Getränkemarkt gearbeitet. Ich habe versucht, möglichst flexibel zu sein. 1996 bekam ich dann meinen ersten richtigen Job – als Autoverkäuferin für den Export. Wir haben Autos nach Portugal und Spanien verkauft. Ende 1996 wurde mein Sohn geboren. Danach habe ich nicht mehr geputzt, sondern nur noch im Büro gearbeitet. Und ich habe weiter versucht, meine Unterrichtsstunden auszubauen. Ich bekam dann auch Stunden in der VHS in Aalen. 2000 wurde meine Tochter geboren. Im August kam sie zur Welt, und schon im September fing ich an, an der Hochschule in Aalen Englisch zu unterrichten, später auch an der DHBW in Heidenheim und der FH Neu-Ulm. Als Dozentin und konnte ich so meine Stunden immer weiter ausbauen – und unterrichte bis heute.
Und zusätzlich arbeitest du in einem Ingenieurbüro?
Ja, genau. Ich arbeite dort als PMO, also als Projektassistentin.
Du hast sehr viel erreicht!
Danke! Es war nicht immer einfach, aber es war machbar. Nebenbei habe ich meine zwei Kinder großgezogen und den Haushalt gemanagt.
Hast du festgestellt, dass es hier einen Unterschied in Bezug auf Ordnung gibt? Ist die Ordnung in Deutschland anders als in den anderen Ländern, in denen du gelebt hast?
Damals, als ich in Südafrika war, empfand ich die Ordnung als ähnlich wie hier in Deutschland. Das war allerdings noch während der Apartheid-Zeit, kurz vor deren Ende. Als ich dann nach Portugal zog, war es dort auch ziemlich ordentlich. Aber etwas, das mir besonders aufgefallen ist: Die Deutschen nehmen Pünktlichkeit sehr ernst. In den anderen Ländern, in denen ich gelebt habe, wurde Pünktlichkeit auch wichtig genommen – es war nicht so, dass ich einfach zur Arbeit kommen konnte, wann ich wollte. Ich musste mich schon an die vorgegebenen Zeiten halten. Aber hier in Deutschland ist es noch strikter. Pünktlichkeit hat hier einen besonders hohen Stellenwert.
Ist es dir schwergefallen, dich an die deutsche Pünktlichkeit zu gewöhnen, oder war das für dich einfach?
Nein, es war eigentlich in Ordnung. Mittlerweile finde ich es sogar gut. Wenn ich nach Portugal fahre, sagt meine Mutter oft: „Oh, du bist zu deutsch geworden.“ Weil ich wirklich darauf bestehe: Wenn ich neun Uhr sage, dann meine ich neun Uhr – und nicht zehn Uhr oder später.
Hast du Tipps für Menschen, die andere Kulturen besser kennenlernen möchten?
Heutzutage ist es sehr einfach, sich zu informieren. Das Internet bietet viele Möglichkeiten, sich über ein Land und seine Kultur zu informieren. Es gibt auch interkulturelle Trainingskurse, die helfen können, sich mit einer fremden Kultur vertraut zu machen. Wenn man sich vorher mit der Kultur auseinandersetzt, ist es viel einfacher, sich vor Ort darauf einzulassen und die Menschen zu verstehen. Viele Touristen machen das allerdings nicht. Sie reisen in ein fremdes Land, schauen sich Sehenswürdigkeiten an, aber setzen sich kaum mit der Kultur auseinander. Das finde ich schade, denn das führt dazu, dass sie sich oft so verhalten, als wären sie noch in ihrem eigenen Land. Ich finde, wenn man reist, sollte man sich bemühen, die Kultur des Landes zu respektieren.
Könntest du dir vorstellen, nochmal woanders hinzugehen?
Deutschland ist meine Heimat geworden. Ich kann mir momentan nicht vorstellen, komplett wegzugehen. Ich habe mir hier alles aufgebaut, und wenn ich jetzt zurück nach Portugal oder irgendwo anders hinziehen würde, müsste ich von vorne anfangen. Nach Südafrika würde ich nicht mehr zurückkehren. Ich war letztes Jahr dort, und das Land hat sich stark verändert. Ich sehe mich dort nicht mehr. Portugal könnte irgendwann wieder eine Option sein – vielleicht, wenn ich in Rente bin. Aber selbst dann nicht komplett. Ich könnte mir vorstellen, einen Teil meiner Zeit in Deutschland und einen Teil in Portugal zu verbringen.
Das klingt nach einem schönen Plan – vielleicht dann im Winter in Portugal und im Sommer hier?
Ja, vielleicht! Wer weiß? Im Winter, wenn es hier dunkel und kalt ist, wäre es schon schön, in der Sonne zu sein.
Empfindest du dein multikulturelles Leben als Bereicherung? Oder denkst du manchmal, es wäre schöner gewesen, an einem Ort zu bleiben?
Nein, ich sehe es definitiv als Bereicherung. Jeder Mensch, der andere Kulturen kennenlernt, gewinnt dadurch etwas. Es ist immer eine wertvolle Erfahrung. Natürlich gibt es auch Herausforderungen und negative Erlebnisse. Aber ich finde, die positiven Erfahrungen überwiegen bei Weitem.
Hast du eine besondere Erinnerung, die dich positiv überrascht hat, als du frisch nach Deutschland gekommen bist?
Oh, das ist lange her! Aber ja – als ich nach Deutschland kam, dachte ich zuerst, die Menschen seien kalt und unfreundlich. Doch mit der Zeit habe ich gemerkt, dass das gar nicht stimmt. Die Deutschen denken einfach anders, sie sehen die Dinge aus einer anderen Perspektive. Aber wenn man sie besser kennt, können sie genauso gute Freunde sein wie die Menschen in meinem Heimatland. Ich habe hier wunderbare deutsche Freunde gefunden.
Das ist ein schöner Abschluss. Vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast!
Sehr gerne.