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Wissen & Bildung

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MAA spricht mit Dr. Rainer Lächele

Akademiker ohne Lehrstuhl – dafür mit Leitzordnern, Legenden und Leidenschaft

Dr. Rainer Lächele hat nicht den Hörsaal erobert, sondern die Herzen von Familienunternehmen. Statt Vorlesungen hält er Archivdeckel auf – und entdeckt dabei vergessene Firmengründer, verschollene Postkarten und tolle, ermutigende, aber auch unangenehme Wahrheiten. Wie man mit Firmengeschichte Mitarbeiter bindet und Kunden gewinnt – und warum so manche Keller spannender sind als Seminarräume.

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Bild, Lächele, privat

 

Rainer, wie kamst du darauf, Firmenhistoriker zu werden?

Ich hatte schon eine akademische Laufbahn hinter mir. Ich wollte unbedingt promovieren und später auch habilitieren, um Professor zu werden. Punkt 1 und Punkt 2 habe ich geschafft – promoviert und habilitiert habe ich, Professor bin ich bis heute nicht geworden. Stattdessen wurde ich Unternehmer oder, wie man damals sagte, freier Historiker. Ich glaube, das hat sich einfach so entwickelt. Schon während meiner akademischen Qualifikationsphase habe ich gerne Artikel für die Presse geschrieben – über Themen, die mir bei der Arbeit in Archiven oder beim Recherchieren am Rande begegnet sind. Wenn man in der historischen Forschung unterwegs ist, hat man meist ein großes Hauptthema, zum Beispiel in der Promotion. Und während man dann tief in den Archiven sitzt, stößt man auf viele andere spannende Dinge, mit denen man sich leider nicht weiter beschäftigen kann, weil man eben auf ein Ziel hinarbeitet. Solche Fundstücke habe ich dann oft zur Seite gelegt, bis mal ein ruhiger Sommer kam – dann habe ich darüber einen Artikel geschrieben. Einer dieser Artikel befasste sich mit einer Einrichtung, die heute als Think Tank für Altenhilfe in Baden-Württemberg gilt: das Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg – ein altmodischer Begriff, aber eine über 200 Jahre alte Institution. Die Vorstandsvorsitzende hat meinen Artikel gelesen, mich angerufen und gefragt, ob ich über ihre Einrichtung eine Geschichte schreiben könne. Das war mein erster offizieller Auftrag.

 


Mit welchem Thema hast du promoviert?

Ich bin, wie man so schön sagt, ein Mischwesen. Ursprünglich habe ich auf Lehramt studiert – obwohl ich schon damals wusste, dass Lehrerstellen nicht leicht zu bekommen sind. Ich habe Evangelische Theologie, Geschichte und Politikwissenschaften studiert. Aber bereits im dritten oder vierten Semester wurde mir klar: Ich möchte nicht direkt Lehrer werden, sondern gerne erst in der Forschung arbeiten und recherchieren. Mein erstes großes Thema hatte mit der evangelischen Kirche zu tun – genauer gesagt mit einer Gruppierung, die sich „Die Deutschen Christen“ nannte. Das war eine Bewegung innerhalb der Kirche, die versucht hat, ideologische Elemente des Nationalsozialismus mit dem Christentum zu verbinden – grob gesagt. Dass das problematisch ist, kann sich wohl jeder denken. Ich habe untersucht, wie sich diese Bewegung entwickelt hat, wie sie recht schnell auch von der NSDAP fallen gelassen wurde und wie sie nach 1945 ohne den NS-Anteil weiterexistierte. Der persönliche Anlass war übrigens, dass meine Großeltern dort Mitglieder waren. Mich hat immer interessiert, warum sie sich dieser Gruppe angeschlossen hatten. Es gibt eben lebensweltliche Fragen, denen man nicht ausweichen kann.


Meine Habilitation beschäftigte sich dann mit sogenannten Erbauungszeitschriften – religiösen Zeitschriften aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die im Rahmen einer Erneuerungsbewegung im Protestantismus entstanden sind. Diese Bewegung nennt sich Pietismus – das hast du vielleicht schon mal gehört. Zentren des Pietismus waren zum Beispiel in Halle an der Saale, etwa bei den Franckeschen Stiftungen von August Hermann Francke. Mich hat fasziniert, wie diese Bewegung über solche Zeitschriften ein weltweites Kommunikationsnetz aufgebaut hat – und das vor 300 Jahren! Dieses Netz reichte von Grönland bis Südamerika, von Nordamerika bis weit nach Asien – überall lebten Menschen, die sich dieser Bewegung zugehörig fühlten. Ich habe mich in dem Zusammenhang auch mit Jürgen Habermas beschäftigt, dessen Kommunikationstheorie ich auf die historischen Quellen angewandt habe. Das fand ich sehr spannend – ich mag generell Themen, die zwischen den Fächern liegen. Das zieht sich wohl durch mein ganzes Leben.

 


Du bist also eher überraschend in die Welt der Firmen hineingeschlittert – und dann kam dein erster Auftrag. Wie ist daraus deine Firma entstanden?

Ja, das war tatsächlich wieder so ein Zufall im Leben. Ich bin seit vielen Jahren Mitglied in einem Verein, der sich mit Kirchengeschichte in Württemberg beschäftigt. Dort lernte ich einen Bibliothekar kennen, der mir eines Tages sagte: „Herr Lächele, ich habe einen Verwandten im Schwarzwald. Der hat eine Maschinenfabrik, die bald 100 Jahre alt wird. Wollen Sie den mal anrufen?“ Das war unser erstes Familienunternehmen, für das wir gearbeitet haben – und mit dem wir bis heute verbunden sind. Ich habe dann tatsächlich auf seiner privaten Nummer angerufen – das war schon ein bisschen gewagt. Aber wir haben schnell ein sehr gutes Verhältnis aufgebaut. Dann haben wir angefangen, den Keller aufzuräumen, historische Dokumente zu sichten und zu sichern – und schließlich zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2010 ein Buch und ein Museum auf die Beine gestellt.




Dann haben wir angefangen, den Keller aufzuräumen, historische Dokumente zu sichten und zu sichern – und schließlich zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 2010 ein Buch und ein Museum auf die Beine gestellt.




Damit begann unsere Arbeit mit Familienunternehmen – ein Bereich, in dem wir bis heute kontinuierlich tätig sind.

 


Am Anfang war es ja nur du allein – und jetzt hast du gerade „wir“ gesagt. Wie viele Personen sind denn „wir“ inzwischen?

Wir sind aktuell 16 Menschen bei den Firmenhistorikern. Natürlich waren wir am Anfang nur zu zweit oder zu dritt. Aber das Ganze hat sich viel stärker entwickelt, als ich es je erwartet hätte – und ist richtig gewachsen. Und plötzlich ist man nicht mehr nur Historiker, der selbst forschen darf, sondern auch Geschäftsführer. Man kümmert sich um Reinigungskräfte, muss neue Projekte ins Haus holen, sich ums Personal kümmern und das Team managen. Das war so nicht geplant – aber es macht großen Spaß! Immer wieder neue Ideen, immer wieder Überraschungen – das ist das Schöne daran.

 


Und wie kann man sich das konkret vorstellen, wenn man beginnt, in der Geschichte eines Unternehmens zu recherchieren?

Für Historiker ist das im Grunde ganz einfach. Sie schauen entweder im Keller eines Unternehmens nach, was noch an alten Unterlagen von früher – etwa vom Großvater oder der Großmutter – vorhanden ist, und werten diese aus. Wir selbst gehen zusätzlich in Archive – Stadtarchive, Staatsarchive, teils auch weltweit – und recherchieren, welche Quellen es über das Unternehmen gibt. Viele dieser Quellen kennen wir bereits zum Teil. Wir schreiben sie ab und erstellen anschließend einen ausführlichen Recherchebericht. Diesen präsentieren wir dann dem Kunden, der meist sehr interessiert reagiert: „Oh toll, und was machen wir jetzt daraus?“ Dann geht es darum, gemeinsam zu entscheiden, ob man ein Buch schreibt, ein Museum gestaltet oder vielleicht eine digitale Storyline aufbaut. So läuft der typische Ablauf eines solchen Projekts. Häufig sind wir übrigens nicht nur für die Recherche verantwortlich, sondern auch für den Aufbau eines Archivs. Wir sichten dann alte Leitzordner, Fotos und andere Materialien, bewerten diese und entscheiden: Etwa 30 Prozent wird erhalten, der Rest – etwa 70 Prozent – kann vernichtet werden. Aus dem erhaltenen Material entsteht dann das historische Archiv eines Unternehmens.

 


Werden diese Archive heutzutage nicht zunehmend digitalisiert?

Ja, das ist tatsächlich ein Thema, das uns fast täglich beschäftigt. Unternehmen arbeiten heute ja kaum noch mit Papier. Seit 30, 40 Jahren gibt es immer mehr digitale Bilder und andere digitale Medien, mit denen Unternehmen ihren Arbeitsalltag gestalten. Aber auch diese digitalen Medien müssen irgendwann archiviert werden – sonst sind sie verloren. Ein digitales Bild ist schneller gelöscht, als man ein Papierfoto zerreißen könnte. Und genau da setzen wir an. Wir bauen für unsere Kunden digitale Archive auf – mit mehreren Sicherungsstufen, sodass Historiker auch noch in 50 Jahren auf das Material zugreifen können.

 


Findet man „im Keller“ auch überraschende Fundstücke?

Da könnte ich locker zwei Stunden lang erzählen (lacht), aber ich beschränke mich mal auf ein paar Highlights. Ein erstes überraschendes Fundstück war eine Postkarte, die wir in einer Kiste des Großvaters eines Kunden gefunden haben. Der Kunde war Anfang 30, und auf der Karte stand, geschrieben vom Urgroßvater: „Liebe Eltern, morgen gründe ich meine Firma Elektrotechnik XY.“ Diese Postkarte war von 1920. Das Unternehmen feiert aber traditionell das Gründungsdatum 1921. Nun standen wir kurz vor dem Jubiläum und mussten entscheiden: Was machen wir jetzt? Ein zweites Beispiel: Wir finden in Kellern oft Hinweise auf Familienmitglieder, von denen heute niemand mehr spricht. Zum Beispiel der Großonkel, der in die USA ausgewandert ist und von dem es keine Erinnerungen mehr gibt. Das ist uns schon mehrfach passiert: Durch unsere Arbeit tauchen plötzlich Menschen aus der Familiengeschichte wieder auf – sei es, weil man sie bewusst vergessen hatte oder weil sie einfach über Generationen aus dem Blick geraten sind. Ein drittes Beispiel habe ich erst gestern erlebt. Unsere Recherchen bringen immer wieder Gründungsmythen ins Wanken. Bei einem großen Kunden heißt es seit 150 Jahren, das Unternehmen sei 1872 vom Urgroßvater gegründet worden. Wir haben genauer hingesehen und festgestellt: Er war nicht allein – er gründete mit zwei Partnern. Das hielt allerdings nur zwei Jahre, dann kaufte er sie heraus. Also kein klassischer Einzelgründer.

 


Wie reagieren die heutigen Unternehmer auf solche historischen Wahrheiten?

Wenn sie klug sind – und die meisten sind das – dann kommunizieren sie die veränderte Perspektive ganz bewusst. Es gehört heute zum guten Ton, Unternehmensgeschichten nicht nur als makellose Erfolgsgeschichten ohne Krisen zu erzählen.




Es gehört heute zum guten Ton, Unternehmensgeschichten nicht nur als makellose Erfolgsgeschichten ohne Krisen zu erzählen.




Vielmehr zeigt es die Stärke eines Unternehmens, wenn es sich mit Herausforderungen auseinandersetzt und auch Brüche in der Geschichte nicht verschweigt.

 


Sind es nicht gerade diese Brüche und Schwierigkeiten, die Geschichten interessant machen?

Hochglanz-Texte liest niemand gern, weil jeder spürt, dass da nichts Echtes dahintersteckt. Ich denke, das ist auch das Besondere an unserer Arbeit: Wir erzählen authentisch. Und das ist glaubhaft. Dadurch können wir die Werte eines Unternehmens vermitteln – Werte, die über Generationen hinweg gewachsen sind und die jedes Unternehmen auf seine Weise prägen. Diese Geschichten sind wichtig.

 


Man sagt ja oft: Man ist die Geschichte, die man sich selbst erzählt. Gilt das auch für Unternehmen?

Absolut. Wenn wir von der Identität eines Unternehmens sprechen, dann wird diese ganz stark durch die Geschichten geformt, die man sich innerhalb des Unternehmens erzählt. Ich gebe dir ein Beispiel: Vor 15 Jahren kam eine Firma zu uns, die zum 90-jährigen Jubiläum Zeitzeugeninterviews machen wollte. Wir haben mit über 30 ehemaligen Mitarbeitenden gesprochen, teilweise drei Stunden lang – alles wurde aufgezeichnet und verschriftlicht. Aus diesen Interviews haben wir ein Buch gemacht, ausschließlich basierend auf den Erinnerungen dieser Menschen. Dort stehen die echten Geschichten, die das Unternehmen ausmachen: Etwa wie man nach der Weihnachtsfeier morgens um halb sechs noch zum Bäcker ging, um Brötchen zu holen. Oder der starke familiäre Zusammenhalt. Dieses Buch wurde schon nachgedruckt und wird heute allen neuen Mitarbeitenden überreicht. Es heißt: Das ist unsere Firma. Und genau darin stehen unsere Werte.

 


Das heißt, die Werte stehen nicht einfach in einer PowerPoint-Folie, sondern sie werden durch die Geschichten lebendig.

Es sind die Erzählungen der Menschen, die in diesen Unternehmen gearbeitet haben. Und wenn jemand 40 Jahre Teil eines Betriebs war, dann weiß er, wovon er spricht. Natürlich ist das nicht nur eine heile Welt. Es ist eine Wellenbewegung – mit Höhen und Tiefen. Und gerade das macht die Geschichten so wertvoll.

 


Du hast es schon angedeutet: Jede Geschichte ist ja auch subjektiv – abhängig von der Person, die sie erzählt. Ich kann mir vorstellen, dass diese Perspektiven auch mal stark auseinandergehen.

Absolut, da hast du vollkommen recht. Ich sage immer: Es gibt nichts Korrupteres als Zeitzeugeninterviews – das weiß eigentlich jeder. Die menschliche Erinnerung ist etwas, das sich ständig neu aufbaut.




Es gibt nichts Korrupteres als Zeitzeugeninterviews – das weiß eigentlich jeder. Die menschliche Erinnerung ist etwas, das sich ständig neu aufbaut.




Viele negative Aspekte werden dabei oft ausgeblendet. Hinzu kommt, dass natürlich jeder seine ganz eigene Perspektive auf ein Unternehmen hat. Auch unter uns Firmenhistorikern: Jemand, der im Archiv arbeitet, sieht die Dinge möglicherweise anders als ich – und das ist völlig in Ordnung. Aber ich glaube, es gibt gewisse atmosphärische Gemeinsamkeiten, die von vielen ähnlich wahrgenommen werden. Das merkt man, wenn man die Interviews liest.

 


Sind die historischen Fakten wertvoller als die Erzählungen?

Man muss da sehr vorsichtig sein. Auch die „Fakten“ sind Zeugnisse von Menschen, die sie unter bestimmten Umständen aufgeschrieben haben. Nimm zum Beispiel einen Bericht über die letzten Kriegstage in einem Unternehmen: Wenn jemand beschreibt, wie die amerikanische Armee einmarschiert ist oder wie französische Truppen Maschinen beschlagnahmt haben – das ist ebenfalls subjektiv. Hätten wir einen Bericht eines französischen Offiziers, sähe der vermutlich ganz anders aus als der eines deutschen Zeitzeugen aus dem Unternehmen. Als Historikerinnen und Historiker lernen wir, solche Aussagen in einen größeren Kontext zu stellen. Wir erzählen nicht nur Fakten – wir bewerten sie auch. Wir beziehen andere Quellen mit ein, schauen uns beispielsweise an, was im Heeresbericht der betreffenden Division steht oder ob der damalige Bürgermeister etwas dazu geschrieben hat. Unsere Arbeit ist nicht monokausal oder linear erzählt – wir betrachten sie aus vielen Blickwinkeln. Deshalb führen wir auch Interviews mit ganz unterschiedlichen Menschen: nicht nur mit Geschäftsführern, sondern auch mit Mitarbeitenden aus der Produktion, dem Marketing oder dem Vertrieb. So bekommen wir verschiedene Facetten der Geschichte.

 


Das klingt für mich nach echter wissenschaftlicher Arbeit – nicht nur nach dem Aufschreiben von Geschichten. Da ist doch ein deutlicher Unterschied zu journalistischer Arbeit, oder?

Das ist richtig. Aber auch Journalistinnen und Journalisten sollten seriös arbeiten und ihre Quellen belegen. Unser Anspruch ist es, auch bei unseren Büchern – wir haben in den letzten 20 Jahren etwa 100 geschrieben – stets unsere Quellen offen zu legen. Jeder kann nachvollziehen, woher unsere Informationen stammen und sich darauf verlassen, dass wir sie korrekt wiedergeben. Das gehört für uns Historiker einfach zum Berufsethos.

 


Gibt es in der Unternehmensgeschichte auch unangenehme Kapitel?

Es gibt Unternehmen, die uns im Vorfeld eines Jubiläums beauftragen, ein Gutachten zu erstellen – da lautet die Frage oft: „War da was?“ Und meistens müssen wir sagen: Ja, da war etwas. Es gibt bestimmte klassische Themen, zu denen wir recherchieren – etwa den Einsatz von Zwangsarbeitern. Ein produzierendes Unternehmen in Deutschland zwischen 1940 und 1945 konnte kaum ohne Zwangsarbeit auskommen. Damals war die Automatisierung längst nicht auf dem heutigen Stand. Weitere Themen sind etwa der Umgang mit jüdischem Besitz, die sogenannte „Arisierung“ von Firmen – also die Enteignung jüdischer Unternehmen. Das sind alles Themen, die wir in unseren Gutachten beleuchten. Und auch da gilt: Oft ist es nicht so schlimm wie befürchtet, aber manchmal eben auch noch schlimmer. Denn in vielen Familien wurde geschwiegen – die Großeltern- oder Elterngeneration hat oft nicht erzählt, was damals passiert ist oder wie viele Zwangsarbeiter beschäftigt waren.




Denn in vielen Familien wurde geschwiegen – die Großeltern- oder Elterngeneration hat oft nicht erzählt, was damals passiert ist oder wie viele Zwangsarbeiter beschäftigt waren.




In den 1950er-Jahren war das Thema in der Öffentlichkeit fast völlig ausgeblendet. Eine professionelle Auseinandersetzung damit begann eigentlich erst in den 1990er-Jahren – etwa als große Banken oder Konzerne ihre Geschichte aufarbeiten ließen. Seitdem ist es gängige Praxis, sich auch mit diesen dunklen Kapiteln zu beschäftigen.

 


Ist die Firmenhistorie ein wachsender Markt?

Ja, das kann man definitiv sagen. Was sich in den letzten zehn Jahren stark verändert hat, ist die Perspektive der Unternehmen. Früher war der Blick stärker nach außen gerichtet – also auf die Öffentlichkeit. Heute hingegen liegt der Fokus viel mehr auf der Wirkung nach innen, also auf die eigenen Mitarbeitenden.

 


Weil man Fachkräfte braucht, weil man eine Identität schaffen will?

Viele Unternehmen nutzen unsere Arbeit gezielt zur Mitarbeiterbindung oder fürs sogenannte Employer Branding. Wir haben zum Beispiel Kunden, die kurze Ausschnitte aus unseren gefilmten Zeitzeugeninterviews auf ihre Karriereseiten stellen. Damit möchten sie zeigen: „Hier gibt es gute Gründe, warum man 40 Jahre lang bei uns arbeiten kann.

 


Ihr beratet Unternehmen auch beim Aufbau eines Archivs. Du hast gesagt, 30 Prozent werden aufbewahrt, 70 Prozent können weg. Was sind das für Kriterien?

Ja, dafür gibt es tatsächlich einen detaillierten Kriterienkatalog. Ein wichtiges Prinzip lautet: Je höher in der Hierarchie ein Dokument entstanden ist, desto wichtiger ist es. Vorstandssitzungsprotokolle zum Beispiel archiviert man immer. Eine interne Nachricht, dass der Betriebsausflug verschoben wurde, muss hingegen nicht aufbewahrt werden – zumindest nicht in jeder Abteilung. Ein weiteres Prinzip ist: Wir archivieren vor allem Dinge, die aus dem Unternehmen selbst stammen. Wenn beispielsweise eine Fachzeitschrift des Verbandes der Blumenzüchter in der Unternehmensbibliothek liegt, archivieren wir die nicht – denn sie existiert ohnehin an vielen anderen Orten. Wir konzentrieren uns auf originäre Inhalte des Unternehmens. Das dritte Prinzip betrifft Medien und Bilder: Alle relevanten Fotos und audiovisuelle Medien sollen erhalten bleiben. Im Marketing werden oft viele Duplikate erstellt, aber für ein Archiv reichen zwei Exemplare. Wichtig sind auch Baupläne und Statikunterlagen – alles, was mit der Infrastruktur zu tun hat. Natürlich gehören auch Gründungsdokumente dazu, Berichte über Messen, Kundenbeziehungen – letztlich versucht man, alle Facetten des Unternehmens abzubilden. Selbst Zeitungsausschnitte, digital oder auf Papier, werden gesammelt – das spart uns Historikern später viel Recherchearbeit.

 

 

Geht es bei den Archiven vorrangig um Geschichten und um sentimentales?

Nein, tatsächlich wurden Archive seit Anbeginn der Geschichte geschaffen, um Rechtssicherheit herzustellen. Deshalb archivieren wir zum Beispiel auch Patente, selbst wenn sie längst online verfügbar sind – etwa beim Europäischen Patentamt. Denn in unseren Akten findet sich oft die gesamte Korrespondenz: wie es zu einem Rechtsstreit kam, wie er geführt wurde. Das lässt sich dann lückenlos nachvollziehen.

 


Jetzt haben wir eine kleine Reise durch die Firmenhistorie gemacht – und du hast ja, wie wir am Anfang gehört haben, eher zufällig zu diesem Beruf gefunden. War das rückblickend ein guter Zufall?

Ich habe es nie bereut, dass ich nicht Professor geworden bin. Ich genieße es bis heute sehr, Unternehmer zu sein – und mit so vielen tollen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen.




Ich habe es nie bereut, dass ich nicht Professor geworden bin. Ich genieße es bis heute sehr, Unternehmer zu sein – und mit so vielen tollen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen.




Wir haben ein großartiges Team, und dass wir an so spannenden Projekten mitwirken dürfen, ist einfach schön. Vielleicht säße ich heute sonst in einem Kreisarchiv mit einer halben Stelle und drei Hilfskräften – ich glaube nicht, dass mich das so erfüllen würde wie das, was ich die letzten 25 Jahre tun durfte.

 


Das klingt sehr ermutigend.

Absolut. Natürlich gibt es Höhen und Tiefen – gerade in den Anfangsjahren war das sehr herausfordernd. Die Zeit möchte keiner von uns nochmal erleben. Und das hat auch wenig mit Geld zu tun. Klar, wir verdienen damit unseren Lebensunterhalt – aber reich wird man damit nicht. Ich wohne immer noch im Reihenhaus.

 


Aber du triffst offenbar auf faszinierende Menschen?

Ja, das ist für mich das Wertvollste. Vor allem viele Unternehmer aus Familienunternehmen – sehr bescheidene, zurückhaltende Menschen. Das beeindruckt mich immer wieder.

 


Das finde ich einen schönen Gedanken: Das Bild des Unternehmers, wie es oft in den Medien gezeigt wird, ist doch sehr verzerrt.

Da hast du vollkommen recht. Meist drängen sich die Exponierten in die Öffentlichkeit.

 


Wissen eure Kunden eure Arbeit zu schätzen?

Viele hören sehr aufmerksam zu und schätzen wirklich, was wir tun. Das macht unsere Arbeit so erfüllend. Und obwohl man damit keine Reichtümer anhäuft, erfährt man eine große Wertschätzung – das ist ein Lohn, den viele in ihrer Arbeit nicht erleben. Insofern sind wir da wirklich privilegiert.

 


Was ist denn deine ganz persönliche Highlight-Geschichte aus eurer Unternehmenshistorie?

Was mich besonders freut, ist, dass wir junge Menschen ausbilden. Wenn sie nach dem Studium mit einem Masterabschluss zu uns kommen, bilden wir sie in rund anderthalb Jahren zu dem aus, was wir brauchen: Menschen, die alte Schriften lesen können, mit Kunden umgehen, Konzepte entwickeln. Und wenn sie später woanders arbeiten und sich weiterentwickeln, ist das für mich eine schöne Geschichte. Ein Lieblingsbeispiel: Einer unserer Kollegen hat sich nach acht Jahren bei uns gegen über 80 Mitbewerber durchgesetzt und arbeitet jetzt im Archiv von Porsche. Das ist natürlich ein großartiger Erfolg!

 


Das ist sehr schön – und auch schön, dass du das so wertschätzend erzählst, obwohl die Leute nicht mehr bei euch sind.

Ja, wir haben da unseren Beitrag geleistet – und das ist ein gutes Gefühl. Außerdem bringen junge Leute auch immer neue Ideen mit. Manchmal sind sie ein bisschen schräg, aber das belebt uns. Sonst würden wir doch langweilig und alt werden – und das gilt es zu vermeiden.

 


Was für ein toller Schlusssatz! Danke für das Gespräch.

Sehr gerne, es war mir eine Freude!

 

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