
MAA spricht mit Simone Schürle
Horror im Kinderzimmer?!
Simone Schürle erklärt, warum Kinderbücher nicht nur für Kinder sind und gibt Tipps zur Auswahl. Sie spricht über interaktive Bücher, die Vorteile des Vorlesens und die Rolle von Social Media im Leseverhalten. Ein spannender Einblick in die Welt der Kinderliteratur, der Eltern und Buchliebhaber begeistert.
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Bild: Simone Schürle, privat
Simone, warum liest man als Erwachsener überhaupt Kinderbücher?
Ich denke, dass ich Kinderbücher schon immer toll fand. Während meiner Ausbildung in der Bibliothek Abtsgmünd habe ich beim Aufräumen gern in den Kinderbüchern geschmökert. In Buchhandlungen und auf Messen schaue ich mir die Neuerscheinungen immer sehr gerne an. Ich glaube, dass jeder Erwachsene gern mal ein Kinderbuch durchblättert. Vielleicht geben das manche nicht zu (lacht), aber Kinderbücher vermitteln einem einfach schöne Geschichten. Meist sind sie wunderschön illustriert und einfach und schnell zu lesen.
Und ab welchem empfohlenen Alter eines Kinderbuches lohnt es sich für Erwachsene, ein Kinderbuch zu lesen?
Darauf gibt es wahrscheinlich keine pauschale Antwort. Jemand, der wirklich ganz lesefaul ist, kann sich ja einfach die Bilder anschauen, dann ist ein Buch ab eins bestens geeignet (lacht). In der Mittagspause saß ich mal bei einem Arbeitskollegen im Auto und der hatte ein kleines „Unkaputtbar Buch“ für Kinder auf dem Rücksitz, das hatte ca. sechs Seiten und ich habe es mir während der Fahrt zum Supermarkt kurz durchgelesen. Ich würde sagen, das empfohlene Alter spielt gar keine Rolle. Als Erwachsener kann man jedes Buch oder Kinderbuch lesen, das einen anspricht.
Was macht für dich den Reiz aus, so ein Kinderbuch zu lesen?
Ich finde es halt ultraspannend, welche Bücher es mittlerweile für Kinder gibt. Zum einen gibt es wunderschön illustrierte oder ganz lustige Bücher mit ganz verrückten Titeln. Ich persönlich liebe Farben und das Visuelle, ein schön gestaltetes, buntes Buch spricht mich an. Auch wenn ich für mich einen Roman aussuche, bin ich absolut ein Coverkäufer.
Auch wenn ich für mich einen Roman aussuche, bin ich absolut ein Coverkäufer.
Wenn ich in der Buchhandlung ein Cover entdecke, das mir gefällt, dann hat es meine Aufmerksamkeit. Und wenn mich das Cover schon nicht anspricht, dann lese ich mir in der Regel auch gar nicht durch, worum es in dem Buch geht.
Bei Büchern ist ja das Cover die Kunst, dass man die Geschichte kompakt auf den Titel bringt. Ist es beim Kinderbuch genauso?
Ich glaube, beim Kinderbuch ist es einfacher, ein Cover zu entwickeln, da wird oft eine Illustration aus dem Buch für den Titel genommen. Wenn es im Buch um das Neinhorn geht, ist halt auch das Neinhorn vorne drauf. Bei „Erwachsenenbüchern“ ist das schwieriger, weil es darin meist gar keine Bilder gibt. Trotzdem muss irgendwie vermittelt werden, worum es in dem Buch geht. Beim Thriller muss das Cover möglichst düster dargestellt sein oder wenn es ein Liebesroman ist, dann ist es meistens in Pastelltönen, in rosa oder hellblau gehalten, dass der Leser bzw. die Zielgruppe sich angesprochen fühlt.
Ich habe früher gerne Wimmelbücher angeguckt, aber da kann man gar nichts lesen.
Ja, das stimmt. Aber immer viel entdecken. Wimmelbücher habe ich als Kind auch geliebt.
Und Wimmelbuch wäre eine Kategorie für ein Buch. Was gibt es denn bei Kinderbüchern noch so für Kategorien?
Na, da gibt es diese Fühlbücher mit verschiedenen Materialien, welche die Kinder mit den Händen fühlen können. Oder es gibt „Krachmachbücher“ – interaktive Bücher, die Musik spielen, Tierlaute machen oder etwas erzählen, wenn man irgendwo drückt oder mit dem Stift eine Stelle im Buch berührt. Dann gibt es pädagogische Bücher, die soziale Themen vermitteln und bei denen die Kinder etwas lernen können. Und dann gibt es auch einfach lustige Titel, da geht es zum Beispiel um Furzipups, den Knatterdrachen, Kalle Klopirat oder den wilden Räuber Donnerpups.
Und dann gibt es auch einfach lustige Titel, da geht es zum Beispiel um Furzipups, den Knatterdrachen, Kalle Klopirat oder den wilden Räuber Donnerpups.
Manche Eltern wollen solche Bücher vielleicht nicht unbedingt für ihre Kinder, aber ich finde sowas auch mega witzig und unterhaltsam.
Ist es denn überhaupt so richtig erziehungskonform, solche Titel zu verwenden?
Ja, wie gesagt, das sind halt Spaßbücher. Ich glaube, die Kinder lachen sich kringelig, wenn sie solche Bücher vorgelesen bekommen.
Geht es da drum, dass die Kinder eher Spaß haben oder eher lernen, wenn sie Kinderbücher lesen?
Ich glaube, beides ist wichtig. Wenn ich ein Buch angucke oder lese, dann möchte ich in erster Linie Emotionen haben, da möchte ich Spaß haben und das muss mir Freude bereiten. Und genauso sehe ich das bei Kindern auch - wenn Kinder dabei noch etwas lernen, ist das natürlich ein positiver Nebeneffekt. Ich denke, bei Kindern muss es die bunte Mischung sein, dass die Kinder Spaß an den Geschichten haben und was mitnehmen können.
Du sprichst von Spaß und von Pädagogik, also Spaß haben beim Lesen und was lernen, was mitnehmen können. Aber es gibt ja auch ganz andere Buchkategorien. Märchen können ja schon mal Horror im Kinderzimmer sein.
Früher war das schlimmer, als es heute ist. Ich glaube, Eltern lesen ihren Kindern keine „Horror“ Bücher vor und stellen solche Bücher auch nicht ins Kinderzimmer. Aber es stimmt, früher, wenn man an die Gebrüder Grimm denkt, sah das noch anders aus. Letztens habe ich wieder mal einen Disney-Film angeschaut, "Alice im Wunderland" und war erstaunt, wie brutal der Film war. Als Kind war mir das gar nicht so bewusst, da fand ich den Film einfach nur toll.
Ist es nicht auch ein gesellschaftliches Phänomen, dass man früher Kindern Grimms Märchen und "Alice im Wunderland" mit all der Brutalität zugemutet hat und heute versucht, das Kinderzimmer freizuhalten von allen Dingen, die nicht Spaß sind?
Eltern möchten ihre Kinder beschützen und ihnen den Horror ersparen. Trotzdem kennt auch heutzutage bestimmt noch jedes Kind Max und Moritz, bei Hänsel und Gretel wird am Ende die Hexe verbrannt und der böse Wolf im Märchen Rotkäppchen ist auch ganz schön gruselig. Vielleicht gehört ein bisschen „Horror“ einfach in eine gute Geschichte.
Vielleicht gehört ein bisschen „Horror“ einfach in eine gute Geschichte.
Ein Märchen lebt von den Charakteren „Gut und Böse“ und die Gesellschaft akzeptiert das.
Erwachsene lesen ja auch Bücher, um drüber nachzudenken, um das eigene Sein zu reflektieren. Aber darum geht's bei Kindern noch nicht? Man möchte ihnen nicht die brutale Realität im Buch zeigen?
Man möchte Kindern im Buch eher die Welt erklären oder zeigen, wie soziales Verhalten geht: lieb zu anderen sein, teilen, Toleranz, dass man andere Menschen so akzeptiert, wie sie sind. Wobei das Kinder von Natur aus sowieso machen.
Aber Kinder können auch brutal sein.
Ja, die Älteren schon. Ich glaube bei Kindergartenkindern ist das noch nicht so ein Thema. So empfinde ich das zumindest.
Es werden ja auch viele Bücher auf BookTok präsentiert, ein Trend auf TikTok, um Bücher vorzustellen. Kennst du das?
Nein, ich bin auf TikTok tatsächlich gar nicht so unterwegs, eher auf Instagram. Da folge ich auch einigen Bookfluencern – teilweise schon ganz, ganz lange. Die haben mittlerweile ein oder zwei Kinder und stellen jetzt mit ihren Kindern Kinderbücher vor – ohne deren Gesichter in der Kamera zu präsentieren. Da treten die Kleinen jetzt schon in die Fußstapfen der Großen. Und das finde ich tatsächlich auch richtig nett. Ich glaube, dass Social Media viele zum Lesen animiert. Und ich mache das mittlerweile ja auch. Wenn ich auf die Buchmesse oder in eine Buchhandlung gehe und neue Kinderbücher entdecke, blättere ich die durch. Und meine Freundinnen mit Kindern, die fragen mich dann immer wieder mal, gibt's neue Bücher, was kannst du empfehlen? Und dann haue ich halt ein paar Empfehlungen raus, die ich ganz nett finde, und die kaufen sie dann auch.
Auch in Buchläden gibt es richtige BookTok-Ecken, wo man die in TikTok empfohlenen Bücher vorstellt.
Ja, in vielen Buchhandlungen ist es auch so, dass die Mitarbeiter verschiedene Bücher auswählen und einen Zettel mit handschriftlicher Empfehlung auf das Buch legen, um es zu bewerben. Das ist das gleiche Prinzip, nur offline.
Junge Menschen kommen so auch durch TikTok zum Lesen. Aber es ist ja eigentlich völlig egal, wie man zum Lesen kommt, Hauptsache man liest Bücher, richtig?
Ja, richtig, das stimmt. Ich finde gerade bei Kindern merkt man schnell, ob sie sich auch mit Büchern beschäftigen. Wenn man Kindern viel vorliest oder ihnen generell viel erklärt, dann haben die Kinder meiner Meinung nach einen ganz anderen Wortschatz.
Wenn man Kindern viel vorliest oder ihnen generell viel erklärt, dann haben die Kinder meiner Meinung nach einen ganz anderen Wortschatz.
Das ist mir vor einigen Jahren zum ersten Mal richtig bewusst geworden: Ein bekanntes Paar hat mit ihrem kleinen Kind oft ein Buch gelesen, in dem auch verschiedene Zutaten zum Kochen abgebildet waren. Das Kind konnte dadurch die Zutaten genau benennen: Zucchini, Champignons, Tomaten, Rosenkohl, …
Du meinst, es gibt einen Zusammenhang zwischen Lesen und Wortschatz?
Ja, auf jeden Fall, davon bin ich überzeugt.
Was hältst du denn von technischen Medien im Kinderbuch? Zum Beispiel das Tiptoi Konzept von Ravensburger?
Ich finde, das kann man schon machen. Man muss als Erwachsener halt den Krach aushalten, denn die kleineren Kinder tippen oft nicht ein Feld nach dem anderen an, sondern sind hektischer unterwegs. Dabei geht es wohl eher darum, mit dem Stift eine Aktion zu starten und um Koordination. Das Buch fängt an zu reden oder zu singen, dann wird's nach drei Sekunden langweilig und dann wird gleich das nächste Feld angetippt. So hat man halt sehr viele Eindrücke auf einmal. Ältere Kinder hören es sich vielleicht strukturiert nacheinander an – und dann passt es auch.
Ja, das kann ich nachvollziehen. Wäre dann Vorlesen doch besser?
Ich finde schon.
Was ist besser, Hörbücher, also zum Beispiel die Toniebox oder lesen und vorlesen. Was würdest du da empfehlen?
Ich würde auch hier vorlesen empfehlen. Beim Hörspiel sind die Kinder manchmal abgelenkt oder die Geschichte läuft nur nebenher. Ich finde aber Hörspiel besser als Fernsehen, weil die Kinder dabei ihre eigene Fantasie anregen. Aber: Beim Vorlesen hat man das Kind im Arm. Man verbringt bewusst Zeit mit dem Kind, man guckt die Bilder in dem Buch gemeinsam an, zeigt drauf und sagt: "Schau mal, da klettert der Affe den Baum hoch." Das vermittelt andere Gefühle als ein Hörspiel, finde ich.
Wenn man gemeinsam ein Buch liest oder auch anschaut, dann werden die Bezüge zur Wirklichkeit auch leichter hergestellt. Ich kann zum Beispiel sagen: "Schau, das ist genau das Gleiche, was wir letztens im Wimmelbuch gesehen haben."
Genau. Ich habe auch festgestellt, dass mein Neffe beim Vorlesen die Buchstaben und Seitenzahlen schon kennengelernt hat. Wenn im Buch die Zahl 5 stand, hat er sich immer gefreut und gesagt: "Das ist mein Geburtstag." Die Zahl 2 oder 22 war dann der Geburtstag seiner Schwester. Das schafft eine Toniebox nicht.
Glaubst du, es hat einen Einfluss, wie man als Kind mit Büchern aufwächst, dass man später als Erwachsener auch liest?
Ich glaube tendenziell ja. Schließt aber nicht aus, dass ein Erwachsener, der früher gar keine Bücher angeschaut hat, nicht irgendwann doch noch zu dem Hobby Lesen kommt. Aber ich glaube schon: Je früher Kinder eigenständig anfangen zu lesen, desto leichter fällt es ihnen und desto mehr Spaß macht's auch.
Einige Dinge im Kinderbuch werden inzwischen auch politisch diskutiert. Conni wurde zum Beispiel kritisch gesehen, weil die „typische Familie“ dargestellt wird, also Mutter, Vater, Kind, Geschwister.
Schwieriges Thema. Ich finde, manche Sachen werden viel zu heiß diskutiert. Patchwork-Familien oder Homosexualität sind mittlerweile auch Thema in Kinderbüchern – das war früher undenkbar, vor allem aus Sicht der Kirche. Ich finde es richtig, dass man damit normal umgeht und dass Kinder damit aufwachsen.
Patchwork-Familien oder Homosexualität sind mittlerweile auch Thema in Kinderbüchern – das war früher undenkbar, vor allem aus Sicht der Kirche. Ich finde es richtig, dass man damit normal umgeht und dass Kinder damit aufwachsen.
Das heißt aber nicht, dass man andere Lebensweisen deshalb kritisieren muss, wie zum Beispiel Conni, die diese „Standardfamilie“ hat. Da gibt es halt Mutter, Vater, eine Tochter und einen Sohn. Solche Familien gibt es im realen Leben auch. Meiner Meinung nach müssen die Conni-Bücher deshalb nicht kritisiert werden.
Ich finde, die Vielfalt ist schön. Nur weil was Neues kommt, muss das Alte ja nicht schlecht sein.
Genau. Ich finde auch, in Kinderbüchern kann man ja tolerant sein. Da darf es doch gerne alles geben.
Was würdest du den Eltern empfehlen, die für Kinder Kinderbücher raussuchen?
Kauft die Bücher, die euch selber ansprechen, an denen ihr selber Freude habt. Dann könnt ihr auch mit dem Kind gemeinsam Spaß haben beim Buch anschauen und beim Lesen. Was mir persönlich auch sehr gut gefällt, sind Mitmach-Bücher. Zum Beispiel gibt's mittlerweile ganz tolle Bücher, wie "Schüttel den Weihnachtsbaum" oder "Kitzel den Kakadu". In diesen Büchern gibt es auf den Seiten Aufgaben für die Kinder (oder die Erwachsenen 😉). Da muss man zum Beispiel das Buch schütteln, weil der Baum voller Schnee ist. Auf der nächsten Seite ist der Schnee dann auf den Boden gefallen – wenn man kräftig genug geschüttelt hat.
Und wie ist es mit der Altersangabe? Sollte man da drauf Wert legen?
Ja, ich denke, die Altersangabe ist schon sinnvoll. Die Herausgeber oder Autoren haben sich was dabei gedacht.
Kinderbücher sind aber auch sehr teuer, oder?
Ja, generell werden Bücher immer teurer. Man kann aber auch gerne die Bücherei nutzen. Bibliotheken haben ja auch ein sehr gutes Sortiment, auch an Kinderbüchern. Die Nutzung ist günstig, man kann die Medien für vier Wochen ausleihen. Oftmals werden die Bücher nach ein paar Mal vorlesen eh langweilig und dann gibt's halt immer wieder mal was Neues.
Das ist ein sehr guter Tipp von dir. Als ehemalige Azubine der Bibliothek passt es auch sehr gut, die Bibliothek noch mal in Erinnerung zu bringen.
Genau.
Wenn du jetzt erwachsenen Menschen ein Kinderbuch empfehlen würdest, was wäre das für eins oder was wären das für welche?
Einen konkreten Titel kann ich jetzt gar nicht nennen. Ich stöbere einfach immer wieder gern und finde so lustige Bücher. Also empfehle ich: Geht in eine Buchhandlung, gezielt in die Kinderbuchabteilung und blättert einfach mal zwei, drei Bücher durch und ihr werdet sehen, ihr werdet ein Lächeln ins Gesicht bekommen.
Ja, und was will man eigentlich mehr als ein Lächeln im Gesicht haben. Vielen Dank für den sehr guten Tipp und fürs Gespräch.
Sehr gerne!