
MAA im Gespräch mit Theo Hageney
Das Urmeter kommt (auch) aus Aalen!
Ob Legostein oder Riesenteleskop – ohne exakte Messung funktioniert moderne Technik nicht. Theo Hageney, Experte für Längenmesstechnik und langjähriger Geschäftsführer der eumetron GmbH aus Aalen, erklärt im Interview, warum der Bruchteil eines Mikrometers manchmal den Unterschied zwischen Stillstand und Funktion bedeutet – und wie ein kleines Unternehmen aus Aalen zur globalen Genauigkeit beiträgt. Ein Blick hinter die Kulissen einer unsichtbaren, aber entscheidenden Welt.
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Bild: Theo Hageney, privat
Wie kamst du zur Messtechnik?
Den Beruf des Messtechnikers, wie er bei eumetron ausgeübt wird, den gibt es in der Form eigentlich gar nicht. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Mess- und Regeltechniker – das ist etwas völlig anderes. Unsere Arbeit hier in der Längenmesstechnik ist sehr speziell.
Ich habe Elektrotechnik studiert und mein erster Arbeitgeber war die Firma Zeiss. Dort bin über den Technischen Service zur Messtechnik gekommen. Zuerst habe ich die speziellen Messgeräte repariert und gewartet. Später ging es dann in die Anwendungstechnik – also die praktische Arbeit mit den Geräten. Und da habe ich gemerkt: Das ist genau mein Ding. Es hat einfach gepasst.
Das heißt, du hast auch ein Faible für Genauigkeit?
Ja, aber das hat sich erst mit dem Job entwickelt. Man bekommt mit der Zeit ein Gefühl dafür, was ein Mikrometer oder gar ein Zehntelmikrometer bedeutet. Irgendwann merkt man, dass es einem Spaß macht, solche Feinheiten zu finden – das hat sich langsam zu einer Leidenschaft entwickelt. Heute kann ich sagen, das war definitiv der richtige Weg für mich. Auch der Einstieg über Reparatur und Wartung war im Nachhinein perfekt. So habe ich die Technik zunächst in der Tiefe kennengelernt und konnte sie später noch gezielter anwenden.
Das heißt, du bist in das Thema eher hineingewachsen? Es war gar nicht von Anfang an geplant?
Genau. Auch das Elektrotechnikstudium war nicht von langer Hand geplant – ich bin da reingerutscht. Aber rückblickend habe ich durch dieses „Reinrutschen“ genau das Richtige für mich gefunden. Ich hatte einfach Glück.
Aber rückblickend habe ich durch dieses „Reinrutschen“ genau das Richtige für mich gefunden. Ich hatte einfach Glück.
Ich glaube, du liebst auch die Mathematik. Die braucht man ja sicher für Präzision und Messung, oder?
Man muss Freude daran haben, sich mit Zahlen und Zusammenhängen zu beschäftigen. Die Mathematik spielt bestimmt eine wichtige Rolle. Man muss sie nicht studiert haben, aber man sollte schon ein gutes Grundverständnis mitbringen. Gleichungen, ein bisschen Differenzial- oder Integralrechnung, Datenaufbereitung – das ist alles wichtig.
Jetzt hast du in deinem beruflichen Leben die Genauigkeit der Längenmesstechnik weiterentwickelt. Kann man das so sagen?
Ja, das trifft es ganz gut. eumetron hat modernste Koordinatenmessgeräte der Firma Zeiss im Einsatz – sehr präzise Geräte. Aber wir haben zusätzlich Methoden entwickelt, wie man durch intelligente Messstrategien und durchdachte Verfahren noch mehr Genauigkeit aus diesen Geräten herausholen kann. Diese Optimierungen haben wir dann gezielt umgesetzt.
Wie kann man sich das vorstellen – welche Längenunterschiede könnt ihr messen?
In der Messtechnik unterscheiden wir zwischen Länge und Form. Der Oberbegriff ist die dimensionelle Messtechnik. Bei der Längenmessung erreichen wir Genauigkeiten im Bereich von etwa 0,1 Mikrometer (µm). Bei der Formmessung sind es sogar etwa 0,01 Mikrometer (µm).
Und wie klein ist 1 Mikrometer?
Ein Mikrometer ist der 1.000te Teil eines Millimeter, viel kleiner als der Durchmesser eines Haares und mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen. Zum Vergleich: ein Haar hat einen Durchmesser von 150 Mikrometer, ein Salzkorn 500 Mikrometer. Bei eumetron werden als kleinste Messunsicherheit 10 nm bei Formmessungen erreicht, das ist der 100te Teil eines Mikrometer oder 0,00000001 Meter. Stelle dir dazu die Höhe des Mount Everest vor (8.848 m), hier wäre die Messunsicherheit 1,8 mm.
Bei eumetron werden als kleinste Messunsicherheit 10 nm bei Formmessungen erreicht, das ist der 100te Teil eines Mikrometer oder 0,00000001 Meter. Stelle dir dazu die Höhe des Mount Everest vor (8.848 m), hier wäre die Messunsicherheit 1,8 mm.
Auf was ist bei diesen Genauigkeiten zu achten?
Wenn man in diesem Bereich arbeitet, spielen auch andere Einflussgrößen eine große Rolle – zum Beispiel die Temperatur oder die Materialeigenschaften. Materialien dehnen sich bei Erwärmung aus, und diese Ausdehnung muss man kennen und berücksichtigen.
Je präziser man messen will, desto stärker wirken sich relativ solche Effekte aus. Deshalb ist es wichtig, den Ausdehnungskoeffizienten eines Materials zu kennen, also zu wissen, wie stark das Teil sich bei Temperaturveränderung verändert. Das Messgerät allein reicht nicht – es kommt auch auf das Material, die Raumtemperatur und andere Rahmenbedingungen an. Diese Effekte müssen dann mit dem gemessenen Wert „verrechnet“ werden.
Wenn du auf einer Party jemandem erklären müsstest, was du beruflich machst – wie würdest du das in einfachen Worten beschreiben?
(lacht) Das passiert tatsächlich immer mal wieder. Ich erkläre es dann meist so: Zum Beispiel bei Daimler – da wird ein Motor gebaut. In diesem Motor gibt es Kolben und Zylinder, und die müssen perfekt zueinander passen. Sonst gibt es einen Kolbenfresser und das Auto bleibt stehen. Damit die Teile genau zusammenpassen, müssen sie mit bestimmten Toleranzen gefertigt und kontrolliert werden. Diese Kontrolle geschieht mit komplexen Koordinatenmessgeräten. Und unsere Aufgabe ist es, sicherzustellen, dass diese Geräte auch korrekt messen – und dies wird mit sogenannten Maßverkörperungen, also hochpräzisen Standards überprüft, die selbst noch genauer kalibriert sein müssen als die Teile, die gemessen werden sollen. Diese Präzision wirkt sich letztlich auch auf die Qualität und Wirtschaftlichkeit des Produkts, in dem Fall auf die Funktionalität des Motors, aus.
Die Messmaschinen werden mit einer Art Schablone geeicht?
Im übertragenen Sinne – ja. Fachlich spricht man allerdings nicht von Eichen, sondern von Kalibrieren. eumetron kalibriert für Kunden Maßverkörperungen, also sehr präzise gefertigte Standardkörper, mit denen die Kunden dann ihre Messgeräte überprüfen.
Und diese Maßverkörperung wäre dann die „Schablone“ in meiner Vorstellung, und Kalibrieren das, was ich als Eichen bezeichnet habe?
Genau. Das trifft es ganz gut.
Viele Leute stellen sich ja morgens auf die Waage und lesen dann zum Beispiel 78,6 Kilogramm. Was bedeutet dieser Wert aus der Sicht eines Messtechnikers?
Aus Sicht des Benutzers kann man nur hoffen, dass die Waage eine gewisse Toleranz einhält – wir sprechen da von Messunsicherheit. Und die meisten Menschen hoffen bestimmt, dass die Waage zu ihren Gunsten falsch anzeigt (lacht). Diese Messunsicherheit beschreibt den Bereich, in dem der tatsächliche Wert liegen kann. Das ist eben die Bandbreite, in der das Ergebnis schwankt.
Was ist der Unterschied zwischen Messen und Kalibrieren?
Messen bedeutet, dass ich zum Beispiel mit einem Messschieber eine Länge bestimme. Kalibrieren hingegen geht einen Schritt weiter: Man misst zwar auch, muss aber zusätzlich nachweisen, in welchem Bereich dieses Messergebnis schwanken kann – also die Messunsicherheit bestimmen. Nur wenn man die Unsicherheit kennt, ist das Ergebnis wirklich verwertbar. Deshalb: Kalibrieren bedeutet immer auch, die Genauigkeit des Ergebnisses nachvollziehbar zu machen.
Also hoffen die Leute beim Wiegen, dass die Anzeige eher zu hoch ist – es könnte aber auch genau andersherum sein.
Ganz genau. Es kann auch sein, dass die Waage zu wenig anzeigt. Das weiß man im Alltag leider nicht.
Kann man denn an der Waage selbst erkennen, wie genau sie misst oder wie groß die Abweichung sein kann?
Nein, das kann man leider nicht. Manche denken, die halbe Skaleneinheit – also der kleinste angezeigte Teilstrich – sagt etwas über die Unsicherheit aus. Aber das ist ein Irrtum. Das ist lediglich die Auflösung, also wie fein die Waage anzeigt.
Was ist genau der Unterschied zwischen Auflösung und Messunsicherheit?
Die Auflösung sagt nur, wie viele Nachkommastellen ein Gerät anzeigen kann. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass es auch so genau misst. Eine Waage kann zum Beispiel vier Stellen anzeigen, aber dennoch keine verlässlichen Aussagen in dieser Genauigkeit liefern.
Ein Waage kann zum Beispiel vier Stellen anzeigen, aber dennoch keine verlässlichen Aussagen in dieser Genauigkeit liefern.
Die Messunsicherheit hingegen gibt an, wie sehr das Ergebnis tatsächlich schwanken kann – und dies zu ermitteln ist sehr aufwendig.
Gibt es irgendeine Kennzeichnung auf der Waage, die etwas über die Genauigkeit aussagt?
Im Regelfall nein. Der Hersteller könnte eine Toleranz in der Bedienungsanleitung angeben, aber das ist nicht immer der Fall. Deshalb bleibt meist unklar, wie präzise eine handelsübliche Waage wirklich ist.
Wie lang ist eigentlich ein Meter?
Früher hat man tatsächlich einen „Metallstab“ – das sogenannte “Urmeter” – in einem Tresor in Paris aufbewahrt. Dieser Stab galt dann als Referenz. Doch mit der Zeit stellte man fest: Selbst dieser „Metallstab“ verändert sich minimal, zum Beispiel durch Alterung oder Temperatur. Deshalb hat man sich seit 1983 international auf eine andere Definition geeinigt: ein Meter ist die Stecke, die das Licht im Vakuum in 1/299.792.458 Sekunden zurücklegt.
Und woher bekommt ihr euer Referenzmaß?
In Deutschland gibt es dafür die Physikalisch-Technische Bundesanstalt – kurz PTB – in Braunschweig. Dort werden alle physikalischen Einheiten sozusagen „vorgehalten“ und überwacht, auch z.B. die Maßeinheit der Länge das Meter. eumetron schickt seine Maßverkörperungen, also seine hochpräzisen Standardkörper, zur PTB. Dort werden sie mit höchster Genauigkeit kalibriert. Das Maß, mit einer zugeordneten Messunsicherheit, das wir zurückbekommen, ist dann die Referenz im Kalibrierlabor. Damit führt eumetron alle weiteren Kalibrierungen auf nationale Normale zurück.
Das heißt, Unternehmen wie eumetron sorgen dafür, dass die Maßeinheit „Meter“ aus der PTB in die Industrie weitergetragen werden?
Ganz genau. eumetron überträgt die Standards der PTB in die industrielle Praxis – entweder direkt oder über weitere Kalibrierlabore. Das Ganze ist wie eine Hierarchie aufgebaut: Oben sitzt die PTB mit den internationalen Standards, dann folgen Referenzlabore wie eumetron, und von dort aus werden die Standards weiter in die Industrie übertragen – bis hin zu einem einfachen Messschieber in der Werkstatt. Und auch dieser Messschieber ist über mehrere Stationen hinweg auf die nationalen Normale der PTB rückgeführt. Das nennt man Rückführung auf nationale Normale. Dieses Prinzip gilt grundsätzlich für alle Messgrößen – egal ob es um Längen, Gewichte oder andere Größen geht.
Das betrifft also alle Arten von Messungen?
Ja, genau. Alles, was gemessen wird. Bei Waagen spricht man oft vom Eichen – das ist dann Sache des Staates und unterliegt gesetzlichen Vorgaben. In allen anderen Bereichen spricht man vom Kalibrieren. Wichtig ist: Ein Messergebnis besteht immer aus einem Messwert plus einer zugeordneten Messunsicherheit. Der Messwert allein hat keine vollständige Aussagekraft. Leider wird das oft ignoriert, weil viele einfach nur einen Zahlenwert sehen – aber wirklich verwertbar ist ein Ergebnis nur dann, wenn man auch weiß, wie genau es ist.
Und die Unsicherheit ist ein „Plus-Minus“-Wert?
Genau. Plus-Minus. Diese Messunsicherheit zu berechnen, ist eine der Kernkompetenzen von Kalibrierlaboren – und das ist alles andere als einfach.
Wenn ich jetzt zum Beispiel ein 10-Zentimeter-Lineal hätte und es kalibrieren lassen würde, würde das heißen: Es misst 10 cm plus/minus einer gewissen Abweichung?
Richtig. Zum Beispiel plus/minus einem halben Millimeter – je nach Qualität des Lineals. Erst mit dieser Information wird aus dem Messwert mit dem Lineal ein korrekt interpretierbares Ergebnis.
Wenn das alles von einer staatlichen Stelle ausgeht und sich bis in die Werkstatt durchzieht, dann kann man sich zum Beispiel bei einer Metzgerwaage, die ein offizielles Siegel trägt, eher auf das Gewicht verlassen als auf die eigene Badezimmerwaage, oder?
Ganz genau. Diese Waagen unterliegen staatlichen Vorschriften. Da kommt jemand mit einem geeichten Prüfgewicht, legt es auf die Waage und prüft, ob die Anzeige korrekt ist. Deshalb sollte man sich bei so einer geeichten Waage tatsächlich mehr auf das Ergebnis verlassen können als bei einer Küchenwaage.
Und du hattest vorher schon von der PTB gesprochen. Gibt es daneben noch weitere Regelwerke, wie zum Beispiel DIN- oder EN-Normen, die festlegen, wie gemessen wird?
Es gibt viele nationale und internationale Normen, die beschreiben, wie etwas gemessen werden muss. Ich selbst bin Mitglied in DIN- und VDI-Normungsausschüssen. Dort arbeiten wir genau an solchen Richtlinien. Ein Beispiel: Wenn man Koordinatenmessgeräte mit Maßverkörperungen überprüfen will, schreiben Normen vor, wie genau das ablaufen muss. Sie regeln, welche Kalibrierstandards erforderlich sind und wie das Prüfverfahren gestaltet sein muss.
Die Norm ist demnach die genaue Anleitung, wie es gemacht wird?
Ganz genau. Wir erarbeiten im Ausschuss die Methodik. Zum Beispiel: Wie prüft man ein Koordinatenmessgerät korrekt? Welche Maßverkörperungen werden benötigt? Diese Standards sind dann die Voraussetzung, um die Norm richtig umzusetzen.
Die meisten Menschen kommen im Alltag ja nicht direkt mit solchen genauen Messungen in Kontakt – aber profitieren trotzdem davon. Ein Beispiel, das mir einfällt, ist das Spaltmaß bei Autos.
Ja, das ist durchaus ein Beispiel – weil man es tatsächlich sieht. Aber ein noch besseres Beispiel finde ich: Legosteine!
Legosteine?
Ja. Jeder kennt sie, jeder hat vermutlich schon mal damit gespielt. Die Formen und Werkzeuge, mit denen Legosteine hergestellt werden, müssen extrem präzise sein. Sonst würden die Steine nicht richtig zusammenpassen – entweder gehen sie zu schwer oder zu leicht auseinander.
Die Formen und Werkzeuge, mit denen Legosteine hergestellt werden, müssen extrem präzise sein. Sonst würden die Steine nicht richtig zusammenpassen – entweder gehen sie zu schwer oder zu leicht auseinander.
Genau deshalb setzt auch Lego Koordinatenmessgeräte ein, um die Formen zu prüfen, mit denen die Steine produziert werden.
Von welcher Genauigkeit reden wir da?
Legosteine haben eine Maßtoleranz von plus/minus 0,1 Millimeter oder 100 Mikrometer (µm). Um diese Maßtoleranz zu überprüfen, sollte die Unsicherheit der Messung maximal 20% der Toleranz betragen, also 0,02 mm, die entspricht 20 µm.
Und diese Genauigkeit wird unter anderem durch Firmen wie eumetron abgesichert?
Ja, allerdings nicht direkt bei der Produktion. eumetron kalibriert die Maßverkörperungen, also die präzisen Referenzteile, mit denen die Messgeräte in der Produktion überprüft werden. So kann sich der Hersteller sicher sein: Mein Messgerät misst korrekt. Und damit kann er wiederum sicherstellen, dass das produzierte Teil – wie etwa ein Legostein – auch wirklich den Vorgaben entspricht.
Wenn der Legostein dann in der Messmaschine geprüft wird, und das Gerät wurde mit durch eumetron kalibriert, kann man also mit gutem Gewissen sagen: Dieser Stein ist exakt so, wie er sein soll?
Genau. Und wenn bei dem Messgerät eine Abweichung feststellt wird, dann muss man unter Umständen in der Produktion nachjustieren – also zum Beispiel die Spritzgussmaschine überprüfen oder die Form nacharbeiten.
Muss unsere Welt eigentlich immer genauer werden – gerade weil die Produkte immer kleiner und filigraner werden? Ich denke da an Smartphones oder ähnliche Technologien.
Je komplexer und kompakter unsere Produkte werden, desto bedeutender wird die Genauigkeit. Oft geht es dabei nicht nur darum, dass das Endprodukt exakt ist – manchmal ist diese Präzision allein notwendig, damit der Fertigungsprozessüberhaupt funktioniert. Selbst wenn das Endprodukt später gewisse Toleranzen erlaubt, müssen Maschinen und Werkzeuge extrem präzise arbeiten, um stabil und effizient produzieren zu können.
Der Legostein ist ja ein Endprodukt, das sehr präzise sein muss. Gibt es auch ein Beispiel, wo das Endprodukt weniger exakt sein muss, der Fertigungsprozess aber trotzdem höchste Genauigkeit erfordert?
Ja, da fällt mir ein Beispiel aus der Vergangenheit ein – es wurden damals Videokassetten gefertigt. Ich dachte erst, die müssten doch gar nicht so genau sein. Aber der Hersteller erklärte mir, dass bei zu großen Abweichungen der gesamte Fertigungsprozess nicht mehr funktioniert. Die Kassette selbst darf durchaus eine gewisse Toleranz haben – aber die Herstellung muss hochpräzise ablaufen, sonst funktioniert es nicht.
Gab es in deiner Laufbahn besondere Messaufträge, die dich nachhaltig beeindruckt haben?
Ein ganz besonderes Projekt war die Kalibrierung eines Referenzspiegels für das Extremely Large Telescope, das derzeit in Chile gebaut wird. Es ist das größte und genaueste Teleskop der Welt. Wir haben bei eumetron die Referenz dafür kalibriert.
Was genau war das für eine Referenz?
Es handelte sich dabei um einen sechseckigen Spiegel aus Zerodur (Glaskeramik mit einem Ausdehnungskoeffizienten nahe Null) von 1,45 Meter Durchmesser und einer leichten Wölbung – gerade einmal 1,4 Millimeter Höhenunterschied vom Zentrum zum Rand. Diese Wölbung musste mit höchster Genauigkeit vermessen werden. Auf Basis dieses Musters wurden dann insgesamt 798 Spiegel für das Teleskop gefertigt.
Und eure Kalibrierung war dabei der Maßstab für alle weiteren Spiegel?
Genau. Unsere Kalibrierung diente u.a. als Grundlage für die Fertigung dieser Spiegel. Es ist schon ein schönes Gefühl zu wissen, dass, wenn dort oben neue Galaxien entdeckt werden, ein winziges Stück davon auch durch unsere Arbeit ermöglicht wurde.
Das ist wirklich beeindruckend. Aber bei solchen Projekten muss man sich ja ganz sicher sein. Wurde eure Messung noch einmal überprüft?
Bei so wichtigen Projekten wird in der Regel von mindestens zwei oder drei unabhängigen Instituten gemessen, oft mit unterschiedlichen Verfahren. Nur wenn alle Ergebnisse plausibel zueinander passen, gilt das Maß als gesichert.
Wie viele Unternehmen gibt es weltweit, die solche hochpräzisen Messungen durchführen können?
Das ist tatsächlich ein sehr exklusiver Kreis. Weltweit gibt es nur sehr wenige Kalibrierlabore, die solche hochgenauen Messungen zuverlässig durchführen können. Wir wissen nicht genau, was in China passiert, aber bezogen auf Europa, Deutschland und die USA ist eumetron eines der führenden Unternehmen – vielleicht sogar Weltmarktführer im High-End-Bereich bei der dimensionellen Kalibrierung von Maßverkörperungn.
Also ein klassischer „Hidden Champion“?
Das kann man so sagen. eumetron liefert in gewisser Weise das „Urmeter“ für viele große Industrieunternehmen weltweit und überträgt die exakten Maßeinheiten, die die PTB vorgibt, weiter in die Industrie – oder an andere Kalibrierlabore, die auf einem etwas niedrigeren Genauigkeitsniveau arbeiten.
Das heißt, die Industrie selbst arbeitet nicht direkt mit der PTB, sondern über euch als eine Art „Übersetzer“?
Genau. Wir sind sozusagen das Bindeglied. Und von diesen Bindegliedern gibt es nicht viele – man kann sie fast an einer Hand abzählen.
Gibt es etwas aus der Welt der Messtechnik, auf das man auch im Alltag achten sollte?
Also das, was wir machen, betrifft den Alltag der meisten Menschen nicht direkt. Aber es gibt dennoch viele alltägliche Situationen, in denen Messtechnik eine Rolle spielt – zum Beispiel bei Geschwindigkeitsmessungen im Straßenverkehr.
Stimmt – Stichwort Blitzer. Da wird ja auch immer etwas „abgezogen“.
Richtig. Das ist genau das Prinzip der Messunsicherheit, wie wir es heute schon mehrfach besprochen haben. Wenn du geblitzt wirst, wird ein gewisser Wert – also eine Toleranz – vom gemessenen Wert abgezogen. Das steht dann auch so im Protokoll.
Und beim Alkoholtestgerät oder dem Tacho ist das genauso?
Ja, jedes Messgerät hat eine Messunsicherheit. Es gibt keinen Messwert ohne Abweichung. Diese Unsicherheit muss bekannt sein – und genau deshalb steht bei jeder Geschwindigkeitsmessung oder Alkoholmessung auch immer dabei: „Abzüglich Toleranz von …“ Das ist die Messtechnik im Alltag.
Dann haben wir am Ende unseres Interviews doch noch ein ganz praktisches Beispiel gefunden – die Messunsicherheit auf dem Strafzettel.
Ganz genau – da ist Messtechnik für jeden plötzlich greifbar.
Vielen herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick in die Welt der Messung!
Sehr gerne – hat mir Freude gemacht.